Im Gebet Gott auf Augenhöhe begegnen

Stefan Jürgens macht mit seinem Buch »Von der Magie zur Mystik« Mut zur Veränderung im eigenen Glauben

Glaube

Austritt als einziger Weg aus der Dauerkrise?

Wer mag sie noch lesen, die endlosen Berichte und Analysen der vielfältigen Probleme der katholischen Kirche? Ob es nun um die Fragen von Zwangszölibat und der Stellung der Frau in der Kirche geht oder um den Skandal von massenhaftem sexuellem Missbrauch und dem Umgang der Kirche damit – bei allzu vielen Kirchenmitgliedern macht sich Verdruss und Hoffnungslosigkeit breit, der in großen Austrittszahlen mündet.
Und doch fällt es vielen Menschen nicht leicht, der Heimat, die die katholische Kirche für sie trotz allem ist, den Rücken zu kehren. Besonders, aber nicht nur für sie lohnt sich darum die Frage nach dem Warum. Wie kommt es dazu, dass sich die Verfehlungen und Probleme derart häufen in einer Institution, die den Menschen doch zum gelingenden Leben, zu gelingenden Beziehungen untereinander und zu Gott verhelfen sollte?

Wie sähe ein Glaube aus, der gut tut?

Dabei könnte Kirche und somit christlicher Glaube ganz anders sein: frei und befreiend, lebensbejahend und stärkend, liebevoll und anziehend… so, dass Menschen sich danach sehnen anstatt die Flucht zu ergreifen.
Viele Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche haben sich in den letzten Jahren Gedanken dazu gemacht, wie ein solcher Glaube sein könnte. Auch der katholische Priester und Autor Stefan Jürgens, dessen Buch »Von der Magie zur Mystik« in diesem Frühjahr erschienen ist. Die ernsten Schwierigkeiten der katholischen Kirche benennt er klar und deutlich. Doch er tut dies als einer, der Mut zu Veränderung und Entwicklung machen will.

Was läuft schief mit Glauben in der Kirche?

Und er macht sich zunächst auf die Suche nach der Ursache nicht allen, aber doch vielen Übels. Er findet sie in einem althergebrachten Gottesbild und in einer noch immer weit verbreiteten Art der Gottesbeziehung, die er „magisch“ nennt. Viele Christen, auch Amtsträger, sind laut Jürgens steckengeblieben in einem solchen magischen Gottesbild. Er nennt dies auch den Kinderglauben.

Man erkennt den Kinderglauben aber nicht etwa an besonders tiefem Vertrauen, sondern vor allem an der Angst vor Strafe bei Fehlverhalten: »So lieb ist der liebe Kindergott also doch nicht! Er ist nur ein Buchhalter, der zusammenrechnet und später im Himmel auszahlt, was man für sich selbst erarbeitet hat. Der Glaube in Kinderschuhen findet niemals wirklich zu Jesus Christus.« Der erwachsen Glaubende dagegen weiß: »Gott liebt mich nicht, weil ich gut bin, sondern weil er gut ist.«

Wenn Glaube erwachsen wird

Jürgens fordert uns dazu auf, die Bibel zu lesen und sie ernst zu nehmen – nicht im wörtlichen Sinne, sondern im historisch-kritischen Sinne. Wir sollen ernsthaft fragen, in welcher Weise hier von Gott geredet wird, was die Menschen damals mit ihm erlebt haben und was das für uns heute bedeutet. Mit vielen überraschenden Beispielen aus dem Alten und Neuen Testament zeichnet er ein ganz anderes Bild als das vom »Herrgott im Himmel«.

Diese neue Art von Gottesbild und Gottesbeziehung hätte auch Einfluss auf das Selbst- und Amtsverständnis geweihter Amtsträger. Man stelle sich etwa die befreiende Wirkung vor, wenn ein Priester, wenn die Kirche selbst plötzlich fehlbarer und damit auch wanderbarer sein dürften!

Im Gebet Gott auf Augenhöhe begegnen

Der Autor ermutigt dazu, mit Gott durch das Gebet in eine Beziehung auf Augenhöhe zu treten. Wir sollen dies tun in dem Wissen, dass Gott immer der »Größere« ist, aber ohne Angst und in Freiheit. Auf Gottes »Ich bin da« sollen wir im Gebet mit unserer reinen Präsenz antworten. Beten nicht als Wunscherfüllungs-Automatik, sondern als Weg zur segensreichen Veränderung des Betenden.

Diese Begegnung auf Augenhöhe bezeichnet Jürgens als den mystischen Glauben, der uns Freiheit schenkt statt einzuengen. Ein solcher Glaube bedroht und entwertet weder den Gläubigen noch andere Menschen. Er ist beglückend und befreiend für den mystisch Glaubenden und dadurch auch anziehend für andere Menschen. Und wer nun denkt, das klinge doch zu schön um wahr zu sein, könnte doch einen Versuch wagen und sich einfach einmal auf den Weg machen.

Das Gedicht »Christsein« von Stefan Jürgens
aus seinem Buch »Von der Magie zur Mystik« ist eine Art Reisebericht:

»Christsein«

Ich denke
Von Gott transzendent:
Er ist das große Geheimnis
Hinter allen Dingen
Und in jedem Menschen.

Ich rede
Mit Gott wie mit einem Du:
Er ist mir unendlich nah in Jesus,
er lebt in mir durch seinen Geist,
näher als ich mir selber bin.

Ich handle
Vor und mit Gott,
als ob es ihn nicht gäbe.
Er hat mir einen Teil der Welt
In die Hände gelegt.

Über den Autor

© Privat

Stefan Jürgens

Stefan Jürgens, geb. 1968, Priesterweihe 1994, ist seit 2019 leitender Pfarrer der beiden Pfarreien Ahaus und Alstätte-Ottenstein St. Mariä Himmelfahrt mit ihren fünf Gemeinden. Zuvor war er Jugendseelsorger einer Region, Geistlicher Rektor einer Akademie sowie Pfarrer in Stadtlohn und Münster. Durch das »Wort zum Sonntag« sowie als Hörfunksprecher und Buchautor ist er über die Gemeindepastoral hinaus bekannt geworden. Zu seinen besonderen Anliegen gehören die geistliche Vertiefung des Glaubens sowie konkrete Schritte zur Reform der Kirche um des Evangeliums willen. Seine Freizeit nutzt er zum Schreiben und zum Musizieren.

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