Zu Geborgenheit im ganzheitlichen Glauben finden

Glaube und Wissenschaft müssen nicht im Widerspruch miteinander stehen. Ein Beitrag von Johannes Warmbrunn

Glaube Gesellschaft

Wenn Jesus Gott sein soll, dann wissen wir aufgrund der biblischen Zeugnisse sehr viel über ihn. Aber: »Wenn Du glaubst zu wissen, wie Gott ist, dann ist es nicht Gott« sagt sinngemäß der heilige Augustinus. Die Auffassung dieses großen Kirchenlehrers teile ich und sie stellt auch eine Versuchung für Menschen dar, sich selbst an die Stelle Gottes zu setzen. Im gegenwärtig von mir erlebten Glaubensdiskurs wird Gott oft sehr konkret als männlicher Mensch beschrieben: Gott hat Arme und Hände, Augen, Ohren, Mund; wir Menschen werden von Gott umarmt, gehen an seiner Hand, fallen in seine Hände, er kommt uns entgegen, sieht uns, hört uns, spricht zu uns, schweigt usw. Wir reduzieren das Unermessliche Gottes auf ein begrenztes Bild. Der heilige Augustinus warnt zu Recht vor solch einem »Wissen« – wenn es vollständig scheint -, denn eigentlich bedeutet es, dass wir nur einen Schatten, nicht das wahre, unendliche Wesen Gottes erfassen.

Ein großes Mysterium

Mein Weg ist, mit Gedanken über den unfassbar großen Gott zur Geborgenheit im ganzheitlichen Glauben zu finden. Zwar geben uns die biblischen Zeugnisse über Jesus wichtige Impulse: Sie zeigen, wie Gott in Jesus »sichtbar« wird – in seinen wunderbaren Taten, seiner leidenschaftsvollen Hingabe und seinem liebevollen Wirken. Wir als Christinnen und Christen sind ausdrücklich aufgerufen, unser Leben in der Nachfolge Jesu zu gestalten. Dennoch bleiben die von ihm überlieferten Zeugnisse immer nur Teilaspekte eines viel größeren Mysteriums. Denn Sprache, Konzepte und sogar unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse haben unweigerlich Grenzen. Auch wenn wir viel über Jesus wissen, dürfen wir daraus nicht die Gesamtheit Gottes ableiten. In dem weit gefassten panentheistischen und prozesstheologischen Verständnis wird Gott als dynamisch, unendlich und transzendent begriffen – als das, was immer über das Mess- und Begreifbare hinausreicht. Diese Sichtweise lädt dazu ein, unsere konkrete Erfahrung von Geborgenheit in einen größeren Zusammenhang zu stellen anstatt Gott auf ein fest umrissenes Bild zu verkleinern.

Im Lichte moderner Naturwissenschaften, speziell der Quantenphysik, können die fundamentalen Aspekte der Wirklichkeit oft nicht vollständig eingeordnet werden. Dieses Bild von einer Welt, die in ständiger Bewegung, Veränderung und Unbestimmtheit begriffen ist, passt, so mein Denkansatz, gut zu einer Theologie, die Gott nicht allein als konkret vorstellbares menschliches Wesen, sondern vor allem als fortwährenden, kreativen Prozess versteht. Ein solcher Dialog zwischen Glauben und Wissenschaft hinterfragt unsere traditionellen Kategorien und fordert uns auf, stets offen für das Unerklärliche zu bleiben und dabei in der Erfahrung von Geborgenheit und Verbundenheit in unseren alltäglichen Beziehungen zu wachsen. Wir sind damit eingeladen, im ständigen, sowohl die Tiefe der biblischen Zeugnisse als auch die Komplexität der modernen Erkenntnisgewinnung integrierenden Dialog über festgefahrene Denkmodelle hinauszugehen – sei es in der theologischen Reflexion, im interdisziplinären Austausch oder in der spirituellen Praxis.

Meine beruflichen Erfahrungen in der ärztlichen Praxis als Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, als Mitarbeiter in der öffentlichen Administration und nicht zuletzt als ehrenamtlich engagierter Christ standen und stehen stets in diesem Spannungsfeld zwischen messbarer Realität und dem transzendenten Geheimnis Gottes. Ich suche nach konkreten Ansätzen, um Inspirationen hin zum Göttlichen als einen unendlichen, unerreichbaren und unfassbaren dynamischen Schöpfungsprozess zu gewinnen.

Gott in Gedanken näher kommen

Vor diesem Hintergrund habe ich das Buch mit dem Titel »Gott unfassbar groß denken - Geborgenheit im ganzheitlichen Glauben« veröffentlicht. Ich berufe mich unter anderem auf Erkenntnisse der Quantenphysik, nach denen letztlich alles aus Quantenzuständen gefügt wird, über deren Beschaffenheit wir keine genauen Kenntnisse haben. Hier sehe ich einen Weg, Gott in Gedanken näher zu kommen. Ich wähle damit dynamische und offene Reflexionen über das Göttliche. Verbindungen zwischen Glauben und Erkenntnissen aus der Quantenphysik sehe ich darin, dass letztlich alles aus unberechenbaren, mysteriösen Quantenzuständen gefügt wird – Zustände, deren genaue Natur wir wahrscheinlich nie vollständig erfassen können. Diese Unbestimmtheit lässt Raum, Gott jenseits aller menschlicher Kategorien und Begriffe zu verstehen, als unfassbar großes Urgründiges. Wir sind zu einem Glauben eingeladen, in dem wir Gottes Schöpfungswirken als Geborgenheit und Transzendenz als gleichwertige Dimensionen erleben, ohne alle Geheimnisse gänzlich entschlüsseln zu müssen. So können wir nicht nur das grundlegend Unbekannte akzeptieren, sondern auch als wesentlichen Bestandteil der Erfahrung des Göttlichen feiern.

Die Verbindung zwischen Gott und den Menschen

Ich lade mit meinem Buch »Gott unfassbar groß denken – Geborgenheit im ganzheitlichen Glauben« dazu ein, den Blick über das gewöhnliche, allzu konkrete Weltbild hinaus zu heben, sondern als etwas zu begreifen, das gerade in seiner Unschärfe und Unbestimmtheit liegt. All dies passt zu unserer Zeit, in der Naturwissenschaften wie die Quantenphysik die Grenzen unseres klassischen Verständnisses von Realität aufzeigen. Ich gewinne damit in meinem Glauben eine tiefergehende Perspektive und hoffe, dass auch andere Menschen daraus für sich einen Gewinn erleben und neue, inspirierende Impulse erfahren dürfen.

Vielleicht erfüllt sich so mein sehnlichster Wunsch, den Menschen in einer zunehmend rationalistisch und säkular geprägten Welt einen Weg aufzuzeigen, mit dem Glaube und Wissenschaft nicht im Widerspruch, sondern ohne jegliche Abgrenzungen gesehen werden. Gott und jeder Mensch bleiben immer untrennbar miteinander verbunden, sind aufeinander verwiesen. Mit dem »unfassbar großen Denken« wird verhindert, Gott auf ein dogmatisches, eng umrissenes Bild zu reduzieren – stattdessen bleibt Raum für das Staunen, das Aushalten von Paradoxien und das Erleben einer tiefen, existenziellen Geborgenheit.


»Ich bin Christ und ich sage ja zu Gott. Seit Jahrzehnten beschäftige ich mich mit Fragen des Glaubens ... Für mich spricht vieles für die Wahrheit meines Glaubens an Gott. Sind es nicht vor allem die zahllosen Engagierten, die seit rund zweitausend Jahren tagaus, tagein im Stillen ihren Dienst für benachteiligte Menschen verrichten oder energisch in der Öffentlichkeit für sie und für ihren Glauben eintreten? Die sich einsetzen für Frieden, Gerechtigkeit, für Kinder und für ältere Menschen, für Kranke, Benachteiligte, für an Hunger und Einsamkeit leidende Menschen und für einen sorgsamen Umgang mit den Schätzen dieser Erde? Die für das Schöne und Inspirierende arbeiten, die den Menschen mit ihrer Kunst eine Freude bereiten und zum Denken anregen wollen? Und auch die, die für den Fortschritt arbeiten, an kleinen und großen Zielen und Visionen, die an ihrem Platz im Leben etwas in unserer Welt besser, letztlich zum ganz allgemein gedachten Guten hin gestalten wollen? Widerlegen sie nicht geradezu beweiskräftig die Annahme, dass wir Menschen aus dem Nichts kommen und im Nichts verschwinden, irgendwie sinnlos dahintaumeln am Rand des Universums? Nein, es gibt etwas Unbegreifliches, Unermessliches, Unerreichbares, aus dem wir hervorkommen und auf das wir hinleben! Wir Menschen dürfen uns nicht mit Gott vergleichen, um Gott dingfest zu machen, für uns verträglich, heimelig, gemütlich – oder um aus dem Vergleich mit Gott weltliche Machtansprüche abzuleiten. Für mich ist daher von entscheidender Bedeutung, eine Vorstellung zu entwickeln, die in angemessener Form der unfassbaren Größe Gottes und seiner Liebe gerecht wird.« (S. 7 f.)

»Als Mitwirkende im Schöpfungsgeschehen haben alle Menschen bei den großen Themen der Zeit – Frieden, Klimawandel, Gerechtigkeit, Sicherheit – ihre ureigene Verantwortung, die Schöpfung mit Gespür für das Ganze für alle und alles mitzugestalten. Die Beziehung zur Transzendenz Gottes ist dabei immer entscheidend. Spaltungen gibt es im unendlich tiefen Urgrund des Schöpfungsgeschehens nicht und sie dürfen daher weder kulturell noch gesellschaftlich zum Ziel werden. In jeder Glaubensgemeinschaft gibt es letztlich nur die eine Wahrheit einer unauflöslichen Rückbindung – lateinisch Religion – an Gott. Gleiches gilt für jede Gesellschaft. Sie muss sich stets vergegenwärtigen, dass politisch wirksames Handeln immer aus dem Urgrund Gottes schöpferischen Wirkens heraus alle Menschen und die ganze Schöpfung betrifft. Kein Mensch und erst recht nicht ein an Gott glaubender Mensch kann sich daher in eine eigene, gute Welt flüchten, heraus aus einer vermeintlich anderen, schlechten Welt. Wie gefährlich die Verführung ist, die vermeintlich gute Welt anderen mit Gewalt aufzuzwingen, ist allzu offensichtlich.

Viele werden an diese Stelle immer noch sagen, Gott und sein Wirken sei nur eine schöne Illusion. Ja, wir können Gott nicht beweisen, aber wir können an Gott glauben. Deswegen gibt es keinen Grund, uns »am Rande des Universums« verortet zu fühlen. Wir alle, jede und jeder einzelne als Person, nehmen Teil am göttlichen Wirken. Unsere Worte und Werke, unsere Gedanken und Gebete, gewinnen ganz besonders an Bedeutung in Beziehungen zu allen anderen Menschen: zu allen, die jetzt mit uns leben, zu allen, die schon verstorben sind, und zu allen, die künftig leben werden. In unserer verantwortlichen Verbundenheit mit ihnen sind wir frei und zugleich Gott nahe. Wenn wir uns darauf einlassen, kann uns diese verantwortliche Verbundenheit immer wieder leicht und beschwingt machen. Wer bereit ist, sich selbst als Person in das Ganze einzufügen, wird, so hoffe ich, an einem Glauben in dieser freien Form Gefallen finden und eine stille, aber tiefe und für die eigene Existenz tragfähige Freude erleben dürfen.« (S. 152 f.)



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