»Wir müssen die Finsternis nicht fürchten«

Woher nehmen wir das Licht und die Zuversicht, mit dem wir sicher ins Unbekannte treten können? Ulrich Peters, Vorstand der Schwabenverlag AG, über das Licht der Weihnacht und mit einem Dank an die Freundinnen und Freunde des Hauses sowie alle Mitarbeitenden.

Aktuelles Weihnachten Zuversicht

The Gate of the Year

Und ich sagte zu dem Mann,
der an der Schwelle des Jahres stand:
Gib mir ein Licht,
damit ich sicher ins Unbekannte treten kann.
Und er antwortete:
Geh hinaus in die Dunkelheit
und lege Deine Hand in die Hand Gottes.
Das soll für Dich besser sein als Licht
und sicherer als ein bekannter Weg.

Minnie Louise Haskins (1875–1957)

Im Herbst dieses Jahres, während der Begräbnisfeierlichkeiten von Queen Elisabeth II., wurde ich wieder auf diesen Text aufmerksam, den ich beinahe vergessen hatte, der nun aber neu zu mir zu sprechen begann. Er ist in eine Tafel an den Eingangstüren zur St. George’s Chapel in Windsor – als »King’s Free Chapel« eine Art Familienkirche und Grablege der britischen Monarchie – eingraviert und zitiert einige Verse aus dem berühmten Gedicht »The Gate of the Year« von Minnie Louise Haskins.

Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen, dieses über 100 Jahre alte Gedicht sei für heute geschrieben, für uns. Wie wohl nie zuvor in unserer Generation haben wir eine Schwelle überschritten – nicht nur die Schwelle eines Jahres, sondern die einer Epoche. Wir sprechen von einer Zeitenwende. Die Corona-Krise ist noch nicht überstanden, da erschüttert der Ukraine-Krieg unsere Welt. Scheinbar Selbstverständliches, in dem wir uns gut eingerichtet hatten, hat über Nacht jede Selbstverständlichkeit verloren. Unsere Art zu leben wird auf eine Weise in Frage gestellt, wie wir das noch nicht erlebt haben. Nicht nur, dass wir darauf überhaupt nicht vorbereitet sind. Neben einschneidenden wirtschaftlichen Folgen müssen wir mit einer Ungewissheit fertig werden, die uns bislang unbekannt war: Wie wird das noch werden? Was kommt da noch auf uns zu? Woran können wir uns halten? Woher nehmen wir das Licht und die Zuversicht, mit dem wir sicher ins Unbekannte treten können?

Vielleicht kann das Weihnachtsfest für uns zu so einem Licht werden. Nicht nur, dass es in unmittelbarer Nachbarschaft des „Gates of the Year“ liegt. Es birgt – neben vielem anderen – das Geheimnis, von dem auch das Gedicht von Minnie Haskins spricht. Aber das Licht, von dem hier die Rede ist, leuchtet nicht so, wie wir es womöglich erwarten. Es erhellt die Nacht des Unbekannten und Ungewissen nicht durch seinen äußeren Schein, sondern ein inneres Sein: das Vertrauen ins Leben, mit dem ich es getrost mit dem Dunkel aufnehmen kann. Für Haskins hat dieses Vertrauen einen Namen, »die Hand Gottes«, und verbindet sich zugleich mit dem großen Versprechen, besser zu sein als Licht und sicherer als ein bekannter Weg. Sich darauf einzulassen, verlangt uns allerdings einiges ab. Manch einer wird sich womöglich schon mit der »Hand Gottes« schwertun. Andere werden sich daran stören, dass nur der durch das Dunkel finde, der es wagt, den Weg mitten hindurch zu wählen.

Und doch ist es genau diese Antwort, die das Gedicht – jedenfalls in meiner Anschauung – mit dem Weihnachtsfest verbindet: Wir dürfen den Dunkelheiten, denen wir begegnen, trauen und müssen Finsternis nicht fürchten. Ich finde das sehr tröstlich, nicht nur für diejenigen unter uns, die in diesem Jahr um einen lieben Menschen trauern oder andere Verluste beklagen, die sich sorgen und Angst haben vor einer höchst ungewissen Zukunft. Schon im Wort Weihnacht steckt ja nicht nur der besondere Glanz des Weihevollen, sondern eben auch die Nacht, das Dunkel der Welt, das bewältigt sein will. Weihnachten, die Geburt des Menschenkindes, in dem Gott zur Welt kommt, erzählt von Vielem. Aber das Fest erinnert uns auch Jahr für Jahr daran, dass dem Dunkel eine besondere Bedeutung innewohnt, dass es etwas mit uns macht, wenn wir ihm nicht ausweichen, sondern im Vertrauen darauf, geführt und gehalten zu sein, hindurch zu finden versuchen. So verstanden ist die Feier der Weihnacht definitiv nichts für Feiglinge. Geh’ hinaus in die ¬Dunkelheit, lautet die lapidare Antwort auf die Bitte nach dem Licht bei Haskins. Aber das Dunkel mag noch so finster sein. Für jene, die hindurchzugehen wagen, erweist es sich nicht als ausweglos. In der Mitte der Nacht erleben sie eine Begegnung und den Anbruch eines neuen, leuchtenden Tages. Minnie Haskins verdichtet diese Erfahrung so:

So ging ich hinaus
und fand die Hand Gottes,
die mit Freude in die Nacht hineintrat.
Und er führte mich in die Berge
und zum Anbruch des Tages …

Wir, das Management und der Aufsichtsrat, danken Ihnen allen sehr, sehr herzlich, dass Sie mit Ihrer Kreativität und geistigen Kraft, Ihrem Engagement und Ihrer Energie an unserer Seite waren auf dem Weg durch dieses Jahr, das nicht einfach war. Aber dass wir gemeinsam hindurchgefunden haben, ist eine große und erhellende Erfahrung, die uns berührt und zuversichtlich stimmt für das, was immer kommen mag. Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Weihnacht und ein neues Jahr, dessen Schwelle Sie im Vertrauen darauf überschreiten mögen, dass es gut wird und in der Mitte jeder Nacht ein neuer leuchtender Tag anbricht.

Ihr Ulrich Peters
Unternehmensgruppe Schwabenverlag AG
Der Vorstand