Widerständig für den Frieden: Eugen Drewermann wird 85
Eugen Drewermann, Theologe, Psychotherapeut, Friedensstreiter, wird am 20. Juni 85 Jahre alt. Die Verlagsgruppe Patmos gratuliert dem großen Autor.
Aktuelles GesellschaftDas umfangreiche Werk Eugen Drewermanns hat viele Facetten. Der Universalgelehrte hat die Gabe, Werke der Weltliteratur, der Mythen und Märchen, Kunst und Musik und nicht zuletzt der Bibel so zu deuten, dass sie für seine Leserinnen und Leser Bedeutung gewinnen und heilsam wirken. Er ist ein entschiedener Anwalt des verletzbaren Menschen und des Lebensrechtes der Tiere und eine öffentliche Stimme gegen die Sicherung des Friedens durch die Vorbereitung von Krieg. Zu seinem 85. Geburtstag geben wir ihm selbst das Wort und zitieren aus seiner neuesten Veröffentlichung »Alles ist Gnade. Wege zum Römerbrief des Paulus« (Patmos Verlag 2025)
Wer sich derart, wie Jesus es getan hat und in seiner Nachfolge auch Paulus, gegen die ganze Welt stemmt, um diese von sich selber zu erlösen, benötigt eine Hoffnung, welche die Endlichkeit des Irdischen einträgt in die Unendlichkeit des Überirdischen und Göttlichen. […] Eine solche Hoffnung brachte Jesus vom Himmel mit auf diese Erde, indem er glaubte an die Auferstehung.
Auf den Spuren des Jesus von Nazareth
Wer in Überzeugung von der Geistesart des Christus damit beginnt, sich so zu verhalten und so zu handeln wie sein Vorbild, wird ganz genau wie dieses selbst quer stehen zum Verwaltungsapparat der herrschenden Gewalt. Er wird zu Friedenschließen und Verhandeln sogar mit dem »Feind« aufrufen und sich der Meinungsgleichschaltung in den öffentlich-rechtlichen Medien als den bezahlten Sprachrohren der Pflicht zu neuen Rüstungsanstrengungen, zu Waffenlieferungen und zur Kriegsertüchtigung mit aller Anstrengung entgegenstellen.
Er muß mit seinem Eintreten für Mitleid, Güte und Versöhnung den intensiven und den interessierten Widerstand all derer provozieren, die sich von einer Fortsetzung der bestehenden Verhältnisse Gewinn, Wachstum und Sicherheit versprechen und die jede Veränderung der Zustände, mit denen sie en gros zufrieden sind, mit Argwohn und Verärgerung belegen. Sie erklären schon den Willen zum Verhandeln und Verständigen für ein Signal der Schwäche und der Feigheit an einen Gegner, den man damit zu seinen Untaten nur noch mehr ermutige; feindliche Widerstände müsse man am besten gleich im Keim ersticken, so die Devise der stets Siegreichen; und dazu dient ihnen die Strategie des Aufbaus steter Drohkulissen von Abschreckung, Stärke und Entschlossenheit – das sind in ihrer Sprache Wertbegriffe. Sie wissen wohl, daß mit dieser Einstellung jeder Konflikt nur eskalieren kann, doch macht das ihnen nicht viel aus, solange sie an ihre wirtschaftliche und militärische Überlegenheit als Garantie für ihren Endsieg unerschüttert weiter glauben.
Aus dem Herzen der Menschen
Nur wer sich eingesteht, daß Jesu Grundhaltung tatsächlich prinzipiell den völligen Kontrast zu diesem Denken darstellt, wird jenen Zorn verstehen, mit dem die Hohenpriester und das Volk Pilatus auf die Frage nach der Schuld des Nazareners empört entgegenhalten: »Er wiegelt das Volk auf, damit, daß er als Lehrer auftritt, hier und dort, in ganz Judäa, angefangen von Galiläa bis hierher« (Lukasevangelium). Weil er nur an eine Ordnung glaubt, die aus dem Herzen des Menschen erwächst, betrachtet man ihn als einen Zerstörer der äußeren Ordnung, die mit Gewaltmaßnahmen aller Art zu implantieren und stabilisieren ist. […]
[Die] Erlösung von der Welt, wie wir sie kennen, ist durchaus nicht eine Illusion verträumter Philanthropen, sondern ein Wesensauftrag unserer Menschlichkeit. Es ist nicht das, wofür wir da sind, wenn wir uns bedingungslos dem Diktat der Machtgier, Geldgier und der Gier nach Geltung beugen, indem wir die Gebote aus dem Dekalog für nach Belieben ungültig erklären. »Du sollst nicht lügen«? – Im Kampfmodus des Umgangs miteinander mußt du lügen, willst du nicht deinem Gegner a priori unterlegen sein. Was alles läßt sich nur mit List und Hinterlist erreichen! Wohl, zugegeben: Du ruinierst damit unrettbar jede Basis des Vertrauens, – mit jeder Lüge mauerst du dich unentrinnbar in das Gefängnis deiner Ängste und Gewaltgebärden ein; aber was soll‘s, wenn du als Sieger daraus hervorgehst! – »Du sollst nicht töten«? Aber wenn du mit nur ein paar Hunderttausend Toten Weltgeschichte schreiben kannst …? […]
Eine neue Welt: Hoffnung angesichts des Todes
Ist dies die »Welt«, so ist es an uns, das Unerträgliche nicht länger hinzunehmen, sondern mit aller Kraft das Angebot eines totalen Neuanfangs, einer Wiedergeburt im Sinne Jesu, zu ergreifen. »Zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist, in gänzlicher Daseinsbejahung und innerer Heilwerdung«, sagt Paulus (im 4. Kap. des Epheserbriefs) und faßt damit das Hauptanliegen Jesu in einem einzigen Satz zusammen, dessen Inhalt er zu Recht konzentriert und konfrontiert sieht in der Frage nach dem Leben angesichts des Todes: welch eine Hoffnung gibt es in Anbetracht der physisch sicheren Tatsache unserer Sterblichkeit?
Für Paulus ist die Botschaft und Erfahrung von der Auferstehung der Grund von allem, was ihn trägt, hat sich in Jesus doch für ihn bestätigt, was er in Psalm 118,6 schon gelesen und gelernt hatte: »Wenn Gott für uns ist, wer ist dann noch ernst zu nehmen als ein Gegner gegen uns? […] Wer kann uns da noch trennen von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Bloßgestelltwerden oder Gefahr oder Schwert? […] ich bin überzeugt: weder Tod noch Leben, weder Engel noch Machthaber, Gegenwärtiges noch Zukünftiges, auch keine (sonstigen) Einflüsse, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur wird uns scheiden können von der Liebe Gottes, die (erfahrbar ist) in Christus Jesus, unserem Herrn« (aus dem 8. Kap. des Römerbriefs).
Wie also widerlegt die Liebe Christi die Wirklichkeit, wie wir sie kennen, durch den Glauben an die Auferstehung, die sie selbst ist und bewirkt? Es bleibt das wahrlich nicht geringe Wagnis unseres Lebens, die Welt von innen her so zu begreifen, daß ihre Rechnung ohne den Term »unendlich« nimmermehr aufgehen kann. Es gilt: Wirkliches Leben ist Verheißung und Vertrauen ins Unendliche; wirkliches Leben ist die Abkehr und die Umkehr der verfestigten Verklammerung ins Endliche, die sich schon dadurch selbst betrügt, daß sie sich als endgültig setzt – in ihrer Endlichkeit! Es bleibt daher die Aufgabe, die Unausweichlichkeit einer Entscheidung aufzuzeigen, die zwischen den scheinbar so »rationalen«, »realistischen«, »pragmatischen« Standpunkten einerseits und jener alles […] ändernden Einstellung Jesu andererseits in Politik, Gesellschaft und im Umgang miteinander unbedingt zu treffen ist.
aus: Eugen Drewermann, Alles ist Gnade. Wege zum Römerbrief des Paulus, Patmos Verlag 2025, S. 191−195 (gekürzt, in Auszügen)