Wenn Geschenke vom Herzen kommen

Jedes Jahr die gleiche Frage: was den Liebsten zu Weihnachten schenken? Das beschäftigt auch die kleine Emma. Eine Kurzgeschichte von Angelika Wolff

Weihnachten Advent Inspiration Wertschätzung

Vom Herzen

Dass Schenken und Beschenktwerden keine einfache Sache ist, hatte Emma, die trotz ihrer jungen Jahre eine gute Beobachterin war, am letzten Weihnachtsfest erfahren. Das Fahrrad, das sie sich so sehr gewünscht hatte, hatte leider nicht unter dem Weihnachtsbaum gestanden, wohl aber ein Schlitten mit einer roten Fahrradklingel. Ja, sie war enttäuscht gewesen, gewiss, aber gefreut hatte sie sich trotzdem ein bisschen. Oma, da war sie ganz sicher, hatte sich auch etwas anderes gewünscht als die rosafarbenen Fellpantoffeln, und der Vater, der in einem Heimwerkerbuch blätterte, obwohl er doch nach Aussage der Mutter zwei hoffnungslos linke Hände hatte, sah auch nicht besonders glücklich aus mit seinem Geschenk. Sie, Emma, würde sich jedenfalls zum kommenden Weihnachtsfest ganz besonders bemühen, die passenden Geschenke für Vater und Mutter auszusuchen und den Großen zeigen, wie es mit dem richtigen Schenken geht, jawohl! Das musste doch irgendwie möglich sein, selbst bei einem eher mageren Sparschwein! Als die Weihnachtszeit nahte, wurde das Schweinchen geschlachtet.

Einige silberne und etliche kupferfarbene Münzen purzelten heraus – viel war es nicht! Emma grübelte. Am besten kaufe ich etwas, was mir selbst gut gefällt – dann gefällt es den Eltern bestimmt auch, überlegte sie. Gesagt, getan. Noch am selben Tag ging sie ins Städtchen auf Geschenkesuche. Als sie um die Rathausecke bog, duftete es wie immer herrlich nach Kakao und Vanille, denn dort gab es ein kleines, feines Café mit Konditorei. Emma, die eine Naschkatze war, schnupperte und schwuppdiwupp stand sie im Laden vor der gläsernen Theke mit ihren schokoladigen Köstlichkeiten. »Was darf es sein, junge Frau«, fragte die freundliche Bedienung, »Trüffelpralinen, Florentiner, Nougat oder Marzipan?« »Ich suche Weihnachtsgeschenke für meine Eltern«, entgegnete Emma, stellte sich auf die Zehenspitzen und leerte den Inhalt ihrer Jackentasche (eine Murmel, ein Würfel und das Münzgeld aus dem Sparschwein) auf das mit Samt ausgelegte Glastellerchen, das dort stand. »Oh«, sagte die Bedienung, die die Lage mit einem Blick erfasst hatte, »keine Sorge, da werden wir schon das Richtige finden – du müsstest natürlich probieren!« Sie zwinkerte Emma freundlich zu. »Ja, gerne!« Emma nahm den Vanilletrüffel, der ihr mit einer silbernen Zange gereicht wurde, und ließ ihn im Mund zergehen. Köstlich!

Dann folgte ein hauchdünnes, knuspriges Florentinerchen, ein Nougattörtchen in Goldpapier und eine Marzipanpraline mit Walnusshälfte. Das hätte nach Emmas Geschmack noch lange so weiter gehen können, doch es war mittlerweile noch mehr Kundschaft im Laden, und so musste sie sich bald für die nach ihrem Geschmack leckersten Süßigkeiten entscheiden: für die Mutter drei Nougattörtchen und für den Vater ein paar von den Florentinern! Die Bedienung packte zwei kleine Cellophan Tüten mit Sternenaufdruck und band hübsche rote Schleifen darum. »Viel Freude beim Verschenken«, sagte sie und gab Emma alles außer den wenigen Silbermünzen zurück. Die war rundum glücklich mit ihrer Geschenkewahl und versteckte die Köstlichkeiten zu Hause in ihrem Zimmer. Abends, als sie im Bett lag und sich voller Vorfreude die Gesichter der Eltern ausmalte, wenn sie ihnen ihre köstlichen Geschenke überreichen würde, befielen sie allerdings erste feine Zweifel. Was, wenn die Mutter keine Nougattörtchen mochte und der Vater keine Florentiner? Ob es vielleicht umgekehrt richtiger wäre? Beunruhigt kramte sie die Geschenke hervor. Die Tüten knisterten geheimnisvoll, als sie die Schleifen öffnete, und es duftete im ganzen Zimmer. Am besten, sie würde selbst nochmal probieren! Das tat sie, aber richtig sicher war sie sich danach immer noch nicht. So kam es schließlich, wie es kommen musste: Noch vor dem dritten Advent waren beide Tüten leer, und Emma hatte weder Geschenke noch Geld, um neue kaufen zu können.

Niedergeschlagen kramte sie kurz vor Heiligabend in ihrer Schatzkiste, in der sie ihre liebsten Dinge und schönsten Funde aufbewahrte. Das Schenken war tatsächlich viel schwerer, als sie es sich vorgestellt hatte! Sie seufzte. Plötzlich hatte sie eine Idee! Den selbst gefundenen Kieselstein, der im Sonnenlicht so wunderbar schimmerte und der geformt war wie ein Herz – den würde sie der Mutter schenken! Und das glatte Stück Treibholz, das aussah wie ein Fisch mit geöffnetem Maul – das sollte der Vater bekommen! Die beiden Geschenke steckte sie in die leeren Tüten und band die roten Schleifen darum. Fertig, ihr Herz klopfte vor Freude! Am Weihnachtsabend dann gab es wirklich glückliche und überraschte Gesichter bei den Eltern! »Emma, wie schön«, freute sich die Mutterund war ganz gerührt über den besonderen Stein. Der Vater hob Emma hoch und rief: »Da ist mir aber ein netter Fisch ins Netz gegangen – einfach so, ohne stundenlanges Herumsitzen. Was für ein schönes Geschenk.« Emma war glücklich, wirklich glücklich, dass ihre Geschenke so großen Anklang fanden. Nie und nimmer, dachte sie für sich, wäre das mit den Nougattörtchen und den Florentinern gelungen!

Später, als ihre Mutter zufällig an ihrem Herzkieselstein roch und erstaunt rief: »Seltsam, der duftet ja nach Nougat!«, und als der Vater ein hauchzartes Mandelblättchen im geöffneten Maul seines Holzfisches fand und sich wunderte, lag Emma längst schon im Bett und träumte von ihrem neuen Fahrrad, das in diesem Jahr endlich unter dem Weihnachtsbaum gestanden hatte.

Angelika Wolff

Aus dem Buch

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