Warum 2024 nicht mal den Tag vor dem Abend loben?

Diese Frage stellt sich Ulrich Peters in seinem Neujahrsgruß, denn Zukunft ist nicht etwas, das einfach geschieht, sondern was wir erschaffen

Neujahr Inspiration Ermutigung Gesellschaft

Liebe Freundinnen und Freunde unseres Hauses,

mit »Memories« – ursprünglich ein Lied der US-amerikanischen Pop-Rock-Formation Maroon 5 – begrüße ich Sie herzlich im neuen Jahr und hoffe und wünsche, dass Sie gut hinübergekommen sind. Die Interpretation, die Sie im Videolink hören können, ist eine Coverversion und wurde vom One Voice Children’s Choir performt. Vor 3 Jahren – auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie – ging sie mit 21 Mio. Aufrufen auf YouTube viral und »durch die Decke«.

Viele Menschen schöpften neue Hoffnung aus wenigen Worten

Sie erinnern sich – keine guten Zeiten damals: Sorgen um Leib und Leben, Unsicherheit auf allen Ebenen. Der Alltag war plötzlich alles andere als alltäglich: Maskenpflicht, Ausgangssperren, Home-Office, Kontaktverbote und Kurzarbeit, reglementierte Einkaufsbedingungen – und so recht wusste damals noch niemand, wie sich die Dinge entwickeln würden. »My heart feels like December«, unsere Herzen fühlten sich an wie der dunkelste Monat des Jahres. Licht am Ende des zappendusteren Tunnels war nicht in Sicht.

Es gab viel zu beklagen und es wurde viel geklagt. Aber es wurde eben auch: gesungen. Nicht nur in Italien von den Dächern der Häuser, sondern auch auf völlig neue Art im Internet. Chöre wurden aus einzelnen Stimmen zu einem überraschend neuen Hörerlebnis gemischt. Und Millionen Menschen wurden durch die Musik innerlich wieder aufgebaut, gestärkt, resilient und widerstandsfähig. Das waren besondere Momente der Geborgenheit. Abermillionen schöpften neue Hoffnung aus wenigen Worten und Weisen, die die Isolation durchbrachen und sich nicht beirren ließen von Angst und Aussichtslosigkeit, sondern – ganz im Gegenteil – mutig dagegen ansangen, als ob der Gesang der Hoffnung letzte Waffe sei. Und das alles, obwohl es überhaupt keinen Grund zum Singen und gleich gar keinen Anlass gab, den Tag – wie es das Sprichwort sagt – schon vor dem Abend zu loben.

Die Kinder vom One Voice Children’s Choir und viele andere taten es trotzdem, und es hat funktioniert. Die Pandemie wurde damit zwar nicht beendet, aber dieses Lied hat etwas zum Positiven verändert. Mindestens für 3 Minuten 41 hat es die Einstellung von 21 Millionen Menschen gewandelt und den Umgang mit dem Unausweichlichen erleichtert.

Warum es nicht einmal wagen und den Tag vor dem Abend loben?

Davon ließe sich lernen, auch noch 3 Jahre nach dem Höhepunkt der Pandemie, und darin steckt, denke ich, ein Motto für ein ganzes Jahr. Versuchen wir es doch auch einmal damit, den Tag vor dem Abend zu loben (und das Jahr vor Sylvester). Ich glaube, es steckt eine ungeahnte Energie, eine Art Schubumkehr darin. Warum wollen wir erst sicher sein und alles erlebt haben, bevor wir abwägen, urteilen und vielleicht feststellen, dass es sich gelohnt hat zu leben? Dann liegt es doch hinter uns, dieses Stück Leben – unwiederbringlich, vorbei, verpasst, vergangen und (vielleicht) schon nahe beim Vergessen. Paradoxerweise suchen wir das Leben dann im Alten, und Abgeschlossenen. Dabei liegt es doch eigentlich im Neuen, dem, was wir vor uns haben und das wir gestalten können. Und wenn es ganz dumm läuft, hat uns vorauseilende Vorsicht womöglich daran gehindert, Chancen zu erkennen und zu nutzen. Klüger wäre, den Tag nicht erst zu loben, wenn er vorüber ist, sondern ihm einen Vertrauensvorschuss zu gewähren und aufmerksam für das Geschenk zu sein, dass uns mit jedem neuen Tag, im Grunde jeder Stunde und Minute unseres Lebens gegeben ist. Wir werden dann, da bin ich ziemlich sicher, untertags viele Momente und Motive finden, die uns in der Erfahrung bestärken, dass das Leben nicht nur lohnt, sondern letztlich jedes Lob verdient: dass es schön ist zu leben, wir dankbar sein dürfen, dass es diese faszinierende Welt gibt, die Geheimnisse des Universums, aber auch den Kosmos unserer Kontakte, Familien, Freundschaften, Beziehungen, dass es uns gibt und überhaupt irgendwas und dass wir miteinander etwas bewirken können.

Bin ich »nur« ein hoffnungsloser Optimist? – Nein, ganz und gar nicht.

Für diejenigen unter Ihnen, die nun an meinem Geisteszustand zweifeln und mich im besten Falle für einen unverbesserlichen Optimisten oder weniger zurückhaltend für einen Phantasten halten mögen, der den Ernst der Lage nicht wirklich erkannt hat. Ich selbst stamme aus einer Familie, die in diesen Dingen sehr vorsichtig war, und vielleicht haben Sie eine ganz ähnliche Geschichte. Den Tag vor dem Abend zu loben, kam bei uns zuhause überhaupt nicht in Betracht. Das Risiko enttäuscht zu werden, wenn die Dinge anders kommen und nicht so gut laufen würden, wurde eindeutig ernster genommen. Entsprechend wurde die Sorge großgeschrieben, und ich gebe zu, dass die Sorge ja irgendwie auch besser in unsere aktuelle Weltlage passt. Die hat sich in den letzten 3 Jahren nicht entspannt, sondern eher verschärft. Keine guten Zeiten heute. Unsicherheit auf allen Ebenen. Die Pandemie ist noch nicht wirklich verkraftet, da erschüttern Tod und Terror, Gräuel und Grausamkeiten, Kriege, Krisen und Katastrophen unsere Welt.

Die Summe der schlechten Nachrichten steht längst in keinem Verhältnis mehr zu unserem Vermögen, irgendetwas davon positiv beeinflussen zu können. Und auch für unsere Arbeit ist es alles andere als leichter geworden. Abbrüche im Leser- und Käuferverhalten, Transformationsprozesse aller Art und dergleichen mehr verbinden sich mit den Krisen der Kirche(n) und beeinträchtigen den Gang der Geschäfte.

Nicht die Sorge soll uns beherrschen, sondern wir die Sorge

Nein, ich will Ihnen nichts Falsches versprechen und die Dinge in ein schonendes und beschönigendes Licht tauchen. Das wäre der Lage nicht angemessen. Wir haben ein schweres Jahr und viel Arbeit vor uns mit ernsten Herausforderungen, für die wir das Engagement ernsthafter Menschen brauchen, die die Sorge um unser Unternehmen, den Gemeinsinn der Gesellschaft und unsere Welt teilen.

In dieser Sorge, positiv verstanden als Fertigkeit, sich um etwas zu sorgen und aktiv zu kümmern, steckt ja auch enorm viel Lebenserfahrung und Kraft. Das ist nicht zu bestreiten, und natürlich brauchen wir sie, diese Sorge. Aber sie lässt sich umso leichter tragen, wenn klar ist, wer Herr (oder Frau) im Haus ist. Nicht die Sorge soll uns beherrschen, sondern wir die Sorge. Und die Kraft, sich wirklich sorgen zu können, um unsere Lieben, unser Klima (im übertragenen Sinn und der wörtlichen weltpolitischen Dimension), unsere Arbeit und Aufgaben, die große und kleine Welt, in der wir leben, lässt sich umso leichter und besser tragen, wenn unsere Grundeinstellung gegenüber dem Leben und seinen Herausforderungen stimmt.

Mit Mut dem »Immerschlimmerismus« begegnen

Zukunft ist nicht etwas, dass einfach geschieht, sondern was wir schaffen und erschaffen mit jeder Stunde unseres Lebens. Mit dem, was wir tun oder lassen und dem Mut und der Fantasie, den bzw. die wir investieren. Dass das einfach wäre, hat uns keiner versprochen. Aber der Umstand, dass es auch anstrengend und mühsam ist oder werden kann, muss uns ja nicht daran hindern, uns im Grunde dankbar daran zu freuen. Und es ändert auch nichts daran, dass uns mit dem Leben mindestens potentiell auch alle Möglichkeiten gegeben sind, das Beste daraus zu machen. Den Tag vor dem Abend zu loben, mit dem denkbar Besten zu beginnen, vom Weiten, Möglichen und Guten auszugehen, statt von Befürchtungen und selbst gewählten Begrenzungen ist dann vielleicht auch eine Kraftquelle und passende Medizin gegen die grassierende Krankheit des »Immerschlimmerismus«, ein Begriff, den der Zukunftsforscher Matthias Horx geprägt hat, um sich greifende Dystopien und destruktive Weltuntergangsphantasien.

Wer es versteht, den Tag vor dem Abend zu loben, entwickelt nicht nur einen neuen Blick auf die Welt und das Leben. Er und sie sorgen auch dafür, dass ein anderes Klima und eine andere Kultur entstehen – im Umgang mit Schwierigkeiten, Problemen und Herausforderungen, die es immer gab und immer geben wird, und letztlich auch mit uns selbst, unseren ureigenen seelischen Ressourcen und denjenigen allen, mit denen wir gemeinsam auf dem Weg durch diese Welt sind. Den Tag vor dem Abend, das Jahr vor Sylvester loben zu lernen – das wäre eine feine Sache und ein Motto für mehr als ein ganzes Jahr. So beschreibt das die letzte Strophe von Memories:

Ich erinnere mich an eine Zeit, in der ich mich so verloren gefühlt habe wie noch nie…
Jetzt aber fühlt sich mein Herz an wie eine Glut und es erhellt die Dunkelheit.
Ich werde diese Fackeln für Dich/Euch/alle tragen …
und sie niemals fallen lassen, ja!
Alles wird gut!

Von Herzen wünsche ich Ihnen und allen Ihren Lieben, aber auch uns als Unternehmen ein glückliches und gesegnetes neues Jahr.
Ihr Ulrich Peters