Max Feigenwinter über das Glück des Älterwerdens

Lesen Sie im Interview mit dem bekannten schweizer Autor, wie Sie dem eigenen Älterwerden positiv begegnen können.

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Wertvolle Impulse für das Älterwerden

Der beliebte Schweizer Autor Max Feigenwinter ist in seinen Texten stets nah am Menschsein. In seinem Buch »Den Jahren mehr Leben geben«, erschienen im Verlag am Eschbach, widmet er sich einem ganz persönlichen Thema: dem Älterwerden. In diesem Interview schildert er, wie er sein eigenes Älterwerden erfährt. Dabei schenkt er wertvolle Impulse, wie jeder sein Alter genießen kann. Das Interview führte die Lektorin Ilka Osenberg-van Vugt.

Ilka Osenberg-van Vugt: Sie sagen, dass jedem Alter ein ganz besonderer Zauber innewohnt. Es liegt an uns, dies zu entdecken, es zu kultivieren und uns daran zu erfreuen. Mit 75 Jahre blicken Sie selbst auf ein reiches Leben zurück. Wo spüren Sie den Zauber des Alters?

Max Feigenwinter: Ich bin schon dreizehn Jahre Rentner und kann meinen Tagesablauf weitgehend selbst festlegen. Ich genieße das sehr. Während meiner Zeit als Lehrerbildner und Leiter einer Ausbildungsstätte blieb oft wenig Zeit für mich selbst. Ich empfinde es als großes Geschenk, jeden Tag einen Gang in den Wald machen zu können, meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Obwohl meine Augen schlechter geworden sind, sehe ich heute Dinge, die ich früher nicht gesehen habe. Ich bin gelassener geworden. Was mich früher gestört oder geärgert hat, kann ich jetzt ohne große Aufregung zur Kenntnis nehmen. Ich bin dankbar, dass ich jeden Tag Schönes und Gutes erleben darf.
 

Ilka Osenberg-van Vugt: Welche Dinge sind Ihnen heute wichtiger als früher?

Max Feigenwinter: Ich schätze es, jetzt mehr Zeit für mich zu haben. Ich brauche das meditative Dasein. Wenn ich ganz still werde, spüre ich große Kraft und eine innere Stimme, die mir sagt: Du darfst sein, wie du bist.
Es ist mir ein Anliegen, achtsam zu leben. Ich habe gelernt, mich an kleinen Dingen zu erfreuen. Meide jede Hetze. Versuche, langsamer zu leben. Es ist mir bewusst, dass es nicht mehr so viele Jahre sein werden. Ich will die verbleibende Zeit nicht damit verbringen, möglichst viel zu arbeiten. Sondern ich versuche, aus jedem Tag, was immer er mir bringt, einen guten Tag zu machen.

 

Ilka Osenberg-van Vugt: Was hat sich für Sie im Alter verändert?

Max Feigenwinter: Kürzlich fand meine Frau ein Foto, auf dem ich etwa fünfzig Jahre alt war, und schmunzelte: »Schau mal, wie du damals rassig ausgesehen hast.« Ja, es hat sich schon rein äußerlich vieles verändert. Ich hatte noch mehr Haare, sie waren nicht grau und die Haut weniger faltig. Auch wenn ich noch täglich meine Wanderung machen kann, muss ich doch feststellen, dass meine Kondition abgenommen hat. Radtouren wie früher kommen nicht mehr in Frage. Ich kann dies gut annehmen, bin froh um alles, was noch möglich ist. Ich will mich immer wieder fordern, aber nicht überfordern.
Doch es gibt auch andere Dinge. Ich meide Anlässe mit vielen Menschen,  wo es laut und schrill ist, noch mehr als früher. Bevorzuge das Zusammensein im kleineren Kreis, in dem auch gute Gespräche möglich sind. Ich erlebe die rasante Entwicklung in vielen Bereichen. Staune beim Ansehen von Katalogen, was es alles gibt, das ich nicht kenne und schon gar nicht brauche. Ich habe gelernt, meine Grenzen ohne Hader zu akzeptieren und zu ihnen zu stehen.

Ilka Osenberg-van Vugt: Von welchen Dingen mussten Sie sich verabschieden?

Max Feigenwinter: Von vielen Dingen musste ich mich verabschieden, viele Dinge durfte ich zurücklassen. Ich bin froh, viele Aufgaben nicht mehr zu haben, viel Verantwortung los zu sein. Mit dem beruflichen Zurücktreten sind auch viele Kontakte, die mir sehr wichtig waren, nach und nach abgebrochen. Es ist mir bewusst, dass dieser Prozess weitergeht. Vieles, das jetzt noch möglich ist, wird eines Tages nicht mehr möglich sein. Ich will deshalb bewusst erleben, was ist. Ich bin überzeugt: Je intensiver ich lebe, je erfüllter meine Tage sind, desto leichter werde ich eines Tages endgültig Abschied nehmen können.

Ilka Osenberg-van Vugt: Sie regen an, im Alter auch neue Wege zu beschreiten, sich neuen Ämtern und Aufgaben zu widmen. Wie sah das bei Ihnen aus?

Max Feigenwinter: Da ich nicht mehr jeden Tag zur Arbeit gehen muss, steht mir mehr Zeit für Neues zur Verfügung. Ich schätze es, nicht nur in den Ferien, am frühen Morgen oder an arbeitsfreien Tagen schreiben zu können. Ich bin glücklich, jetzt für diese mir so wichtige Tätigkeit mehr Zeit zu haben. Ich gehe die Dinge langsamer an. Lege Wert darauf, Kurse mit den Anbietern im Voraus genau zu besprechen. Wenn ich auswärts Veranstaltungen habe, begleitet mich oft meine Frau. Dabei nutzen wir die Gelegenheit, die neue Gegend kennenzulernen. Es scheint, dass Menschen in meiner Umgebung wissen, dass ich nicht mehr täglich zur Arbeit muss. Immer wieder werde ich um Rat gefragt. Es ist ein gutes Gefühl, da und dort gebraucht zu werden. Wer braucht es nicht, gebraucht zu werden?

Ilka Osenberg-van Vugt: Auf den Punkt gebracht: Welchen Impuls möchten Sie anderen Menschen mit auf den Weg geben?

Max Feigenwinter: Für mich ist das Leben ein Geschenk, für das ich sehr dankbar bin. Nicht alles ist so, wie wir es wünschen. Manches fordert uns. Wir können aber auch an Aufgaben und Forderungen wachsen. Wir müssen nicht mit allem allein fertig werden. Es gibt Menschen, die uns helfen, wenn wir sagen, was wir brauchen. Es muss nicht alles gelingen, schon gar nicht alles perfekt sein. Wo Menschen sind, geschehen auch Fehler. Mit ihnen müssen wir rechnen. Eine Gemeinschaft, wo primär das Positive, die Fortschritte gesehen statt Fehler gezählt werden, ist förderlich. Wir leben in einer schnelllebigen Welt, doch schneller ist nicht immer besser. Ich will nicht immer mehr leisten, damit ich mir mehr leisten kann. Ein erfülltes Leben ist mir wertvoller als eine gefüllte Agenda. Ganz wichtig ist es mir, dass wir einander wohlwollend begegnen, damit möglichst viele Menschen immer mehr wagen zu sein, wie sie sind. Wir alle, jeder und jede Einzelne, kann etwas dazu beitragen, dass diese Welt ein bisschen besser wird. Ich möchte meinen Beitrag leisten.

 

Wir danken Max Feigenwinter und Ilka Osenberg-van Vugt für das Interview.


Max Feigenwinter

Max Feigenwinter

Max Feigenwinter, geboren 1943, war Didaktiklehrer, Erwachsenenbildner und lange Zeit tätig als Leiter des Lehrerseminars Sargans (Schweiz). Er ist Autor mehrerer Nachdenk-Bücher sowie pädagogischer…

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