Martin Luther: der Ketzer? Der Papst: der Antichrist?

Vor 500 Jahren tagte der Wormser Reichstag und verurteilte Martin Luther. Ein ökumenischer Vorstoß zur Versöhnung. Von Volker Sühs

Glaube Gemeinschaft

Martin Luther auf dem Wormser Reichstag: ein Wort und eine Grundhaltung

»Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir, Amen.« Dieses immer wieder und gerne zitierte Wort Martin Luthers ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenso wenig historisch wie sein Anschlag der 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg. Aber auch wenn es der Reformator so nicht gesagt haben dürfte, ist es dennoch gut erfunden, denn es bringt etwas auf den Punkt, das als ein Aspekt einer ihm wesentlichen Grundhaltung bezeichnet werden kann.

Martin Luther widersteht am 18. April 1521 auf dem Reichstag zu Worms dem neu erwählten Kaiser Karl V. ins Angesicht, dem Mann, der neben dem Papst als der Repräsentant und Garant der Einheit der abendländischen Christenheit und des sie bisher verbindenden katholischen Glaubens gilt. Martin Luther steht ein für seine Überzeugung und verteidigt die einmal im Studium der Heiligen Schrift gewonnene reformatorische Erkenntnis der Rechtfertigungsbotschaft und ihrer ekklesiologischen Konsequenzen. Er ist nicht bereit, die sich ihm erschlossene Wahrheit aufzugeben und zu widerrufen. Aber in dieser Standfestigkeit, auch vor dem Kaiser, vertraut er letztlich nicht alleine auf sich und seine intellektuellen und geistlichen Möglichkeiten. Er vertraut auf den, dem er sie verdankt, auf Gott selbst: »Gott helfe mir, Amen.«

So jedenfalls hat sich die Szene zu Worms, in der Luther am 17. April 1521 aufgefordert wurde, seine Lehre und Schriften zu widerrufen, sich Bedenkzeit erbat und sich am Folgetag mit einer großen Rede verteidigte, in das kollektive Gedächtnis des Protestantismus und des Christentums insgesamt eingebrannt.

Ihre deutliche Stilisierung ist nicht zu übersehen. Martin Luthers Wort ist zur »Pathosformel« geworden, wie es jüngst der Reformationshistoriker Thomas Kaufmann noch einmal herausstellte. Auch in Luthers eigener Erinnerung wurde in späteren Jahren das Ereignis in Worms zunehmend bedeutungsvoll, so dass er es als Wendepunkt seines Lebens, ja der Geschichte darstellte.

Die Folgen: Verurteilung Martin Luthers und die zerbrochene Einheit der Kirche

Bei aller mythischen Überhöhung des Wormser Ereignisses bleiben auch bei nüchterner historischer Betrachtung die fatalen Folgen unübersehbar. Martin Luther ging es zunächst um eine Neuentdeckung der biblischen Botschaft von der rechtfertigenden Gnade Gottes und um die daraus folgende, am sola scriptura, sola gratia, sola fide und letztlich solus Christus ausgerichtete Reform der katholischen Kirche und ihrer Lehre. Er geriet so bereits in den Jahren vor dem Reichstag in deutlichen Gegensatz zum Papsttum. Im Traktat »An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung« identifizierte er nun öffentlich den Papst als »Antichrist«. Zu Beginn des Jahres 1521 erfolgte seine Verurteilung durch Papst Leo X. als Ketzer. Nachdem Luther aus Worms abgereist war, erfolgte im Wormser Edikt die Bestätigung der päpstlichen Verurteilung durch Karl V. Es wurde die Reichsacht über ihn verhängt.

Kaiser Karl V., der zeit seines Lebens das große Ziel verfolgte, die Einheit des katholischen Glaubens, der abendländischen Christenheit und Europas zu bewahren, ist an der Herausforderung Martin Luthers gescheitert.

500 Jahre später: Versöhnung ist möglich

Aus Anlass von Bannandrohungsbulle sowie der 500. Wiederkehr der Wormser Ereignisse hat sich der Altenberger Ökumenische Gesprächskreis neu mit den aufgeworfenen biblischen, historischen und theologischen Fragen auseinandergesetzt. Das zentrale Anliegen der ökumenischen Stellungnahme besteht darin, dass der »Ketzer« Martin Luther in der katholischen Kirche offiziell als »Zeuge Jesu Christi« anerkannt wird und der Papst in der evangelischen Kirche nicht mehr als »Antichrist« betitelt, sondern als »Bruder in Christus« gewürdigt wird. Die Autorinnen und Autoren plädieren dazu für die Außerkraftsetzung der Bannbulle Papst Leos X. gegen Martin Luther samt all seinen Anhängern und für die Rücknahme des reformatorischen Verdikts gegen den Papst als »Antichrist«. Denn sie sind überzeugt: Nach 500 Jahren ist Versöhnung zwischen den christlichen Kirchen möglich!

Neben der Ökumenischen Erklärung begründen Beiträge namhafter Autorinnen und Autoren diese Forderung für das 500-jährige Gedenkjahr 2021. Eine Anregung für eine entsprechende offizielle Erklärung beider Kirchen sowie der Entwurf für eine Versöhnungsliturgie runden das Buch »In alle Ewigkeit verdammt?« von Josef Wohlmuth und Hans-Georg Link ab, das in ökumenischer Zusammenarbeit der Verlage Matthias Grünewald und Vandenhoeck & Ruprecht erscheint. Die vorliegende zweite Auflage ist ergänzt um Übersetzungen der Altenberger Erklärung ins Englische, Französische und Spanische und Reaktionen auf die Erklärung, unter anderem vom Lutherischen Weltbund und von Erzbischof Edgar Peña Parra, Substitut des vatikanischen Staatssekretariats und somit enger Mitarbeiter von Papst Franziskus.

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