Europäisches Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit eingeweiht

Am 18. August wurde das neue Europäische Zentrum Jüdischer Gelehrsamkeit in Potsdam in Anwesenheit des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier eingeweiht. Dabei wurde dem Staatsoberhaupt auch der Band »Ein Haus für Jüdische Theologie« überreicht

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Das neue Zentrum ist Teil der 1991 gegründeten Universität Potsdam – eine junge Universität in historischem Bauensemble. Die Geisteswissenschaften nutzen die Gebäude rund um das Neue Palais, von 1763 bis 1769 unter Friedrich dem Großen als Gästeschloss errichtet, im Park von Sanssouci, der 1990 in die Unesco-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen wurde. Jetzt werden die Orangerie und das Königliche Hofgärtnerhaus am Neuen Palais Sitz der School of Jewish Theology, des Abraham Geiger Kollegs und des Zacharias Frankel College. Zusammen bilden sie ein Europäisches Zentrum Jüdischer Gelehrsamkeit.

Jüdische Theologie auf Augenhöhe

Das Königliche Hofgärtnerhaus dient als neue Heimat für das 1999 gegründete Abraham Geiger Kolleg für liberale Rabbinats- und Kantoratsstudierende und das 2013 gegründete Zacharias Frankel College für die Ausbildung konservativer Rabbinerinnen und Rabbiner. Die frühere Orangerie des Neuen Palais wird Sitz der School of Jewish Theology an der Universität Potsdam. Mit dieser Einrichtung ist das erste Mal in der deutschen Geschichte eine fakultätsähnliche Einrichtung für jüdische Theologie errichtet worden – in Augenhöhe mit den Fakultäten evangelischer und katholischer Theologie an staatlichen Hochschulen. Universitätsinstitut und Rabbinerseminare werden durch die erste Hochschulsynagoge Deutschlands baulich verbunden.

»Mit der School of Jewish Theology, die 2013 ins Leben gerufen wurde, haben wir die Jüdische Theologie als ordentliches Studienfach in Deutschland eingeführt. Dies war ein bedeutender Schritt, da auf diese Weise erstmals in der Geschichte eine jüdisch-theologische Ausbildung an einer deutschen Universität verankert wurde«, schreibt Oliver Günther, Präsident der Universität Potsdam. Die inhaltlichen Schwerpunkte der Studien in Potsdam reichen vom rabbinischen Judentum der Antike über die mittelalterlichen Talmudschulen und die Wissenschaft des Judentums des 19. Jahrhunderts bis zum modernen Judentum in seiner ganzen lebendigen Vielfalt. Angehende Rabbiner und Rabbinerinnen, Kantorinnen und Kantoren aus ganz Europa bestreiten in Potsdam ihre Studien und ihre Ausbildung für jüdische Gemeinden in Deutschland und überall auf der Welt.

Die Entstehungsgeschichte des neu gestalteten Ensembles und seine Glanzlichter beschreibt der von Anne-Margarete Brenker und Rabbiner Walter Homolka herausgegebene Band »Ein Haus für Jüdische Theologie am Neuen Palais Potsdam« in Wort und Bild – von historischen Skizzen der Parklandschaft Sanssouci bis zu fotografischen Rundgängen durch die neu gestalteten Gebäude. »Dass Preußen ein Land verschiedener Ethnien, Sprachen, religiöser Bekenntnisse gewesen ist, spiegeln die Schlösser und Gärten wider. Nun ist auch jüdisches Leben in Sanssouci präsent und was zu wünschen bleibt, steht im Talmud: ›Das Haus soll weit offen stehen‹«, so Christoph Martin Vogtherr, der Präsident der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten.

Ein zeitgenössisches Verständnis von Religion

Das Buch stellt ausführlich die Werke zeitgenössischer Künstlerinnen vor, die der neuen Nutzung der Potsdamer Gebäude eine eigene künstlerische Form und Aussage mit auf den Weg geben. Das Institutsgebäude der Orangerie erhielt eine Glasfront, gestaltet von Eva Leitolf. »This Is Not A Thornbush« (Das ist kein Dornbusch) nennt die Künstlerin, Professorin für Bildende Kunst an der Freien Universität Bolzano-Bozen, ihr Werk. Mit dem Motiv der Offenbarung Gottes an den biblischen Mose im Dornbusch der Sinai-Wüste schlägt es die Brücke von der ehemaligen Nutzung der Orangerie als Schutzraum für exotische Pflanzen des königlichen Parks zur akademischen Nutzung als einzigem Standort jüdischer Theologie in Deutschland.

Ebenso wie die Glasfront der School of Jewish Theology vermittelt die neu eingerichtete Hochschulsynagoge ein zeitgenössisches Verständnis von Religion. Die Synagoge ist ein besonderer Höhepunkt der Neugestaltung des ganzen Ensembles durch das Büro Rüthnick Architekten, Berlin. Die dem Toraschrein der Synagoge gegenüberliegende Wand ist gestaltet mit einer Installation der aus Südkorea stammenden Künstlerin SEO. Die Meisterschülerin von Georg Baselitz greift Wasser, Wolken und Bäume auf, die bereits in der Hebräischen Bibel als Natursymbole religiös gedeutet werden, und setzt sie in Beziehung zum vierten Element, dem Licht. Je nach Lichteinfall entsteht ein einmaliger und einzigartiger Moment.

In ihrem Geleitwort schreibt Manja Schüle, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg: »In Berlin und Potsdam ausgebildete Rabbiner genießen weltweites Ansehen. Von den bescheidenen Anfängen des Abraham Geiger Kollegs als An-Institut der Universität Potsdam bis zur Schaffung der School of Jewish Theology war es ein weiter Weg – er hat sich gelohnt.« Der Band »Ein Haus für Jüdische Theologie« dokumentiert diesen Weg und sein Ergebnis. Das Buch erscheint in dem Jahr, in dem Deutschland 1700 Jahren jüdischen Lebens gedenkt und das liberale Judentum auf 250 Jahre Geschichte zurückblickt.

»Wer baut, will bleiben«

Von der wechselvollen Geschichte der Jüdinnen und Juden in Deutschland sprechen auch Beiträge des Buches. Hartmut Bomhoff schildert lebendig die Aufbrüche und Abbrüche, im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts Rabbinerausbildung und jüdische Theologie in akademischen Einrichtungen zu verankern. Dem Buch beigegeben ist eine Chronik jüdischen Lebens in Brandenburg-Preußen. Sie reicht vom Edikt des Großen Kurfürsten, der im 17. Jahrhundert fünfzig jüdischen Familien aus Wien die Ansiedlung in seinem Territorium erlaubte, bis hin zur Umgestaltung der Cottbusser Hofkirche zur Synagoge der Jüdischen Gemeinde 2015.

Auch Rabbiner Walter Homolka, zusammen mit Anne-Margarete Brenker Herausgeber des Buches, erinnert an die Geschichte: an die Utopie des Judentums in Deutschland nach der Aufklärung, gleichberechtigt und integriert zu sein. Und an die Erfahrung des Verlusts: durch geistige und rassische Ausgrenzung, durch Verfolgung und Genozid. Der Rektor des Abraham Geiger Kollegs richtet seinen Blick aber auch auf die Zukunft. Das am 18. August seiner neuen Bestimmung übergebene Nordtorgebäude im Park von Sanssouci trägt jetzt den Namen Walter-Jacob-Gebäude. Der 1930 geborene Rabbiner Walter Jacob, mit seiner Familie 1939 dem Nazi-Terror entkommen, hat für die Wiederbelebung des liberalen Judentums in Deutschland nach 1990 entscheidende Impulse gegeben. In seinem Schlusswort zum Band »Modern aus Tradition. 250 Jahre liberales Judentum« (Ostfildern 2021) zitiert Walter Homolka die Lebensbotschaft von Walter Jacob, »eine jüdische Welt zu schaffen und zu denken, die uns mit der Vergangenheit verknüpft, aber bereit ist, eine Zukunft anzunehmen, die wir uns noch nicht vorstellen können«.

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