Die Kunst des gelassenen Alterns

Antje Sabine Naegeli schreibt in »Jahresringe« über die Lebenskunst des Älterwerdens. Lesen Sie hier einen Auszug aus ihrem Buch

Älter werden Inspiration Gelassenheit Ermutigung

»Großmama, bist du alt?«, fragt mich meine jüngste Enkelin. Ich bin Anfang 60 und bin zunächst etwas verunsichert. Was soll ich antworten? Das Kind spürt mein Zögern und fragt erneut: »Bist du ein ganz kleines bisschen alt?« Ich nicke entschlossen und die Kleine gibt sich zufrieden.

Ja, der Anfang vom Altwerden hat begonnen, dazu muss ich stehen. Mein Altwerden ist näher gerückt, aber auch ich gehöre zu den Menschen, die sich nicht gerade leicht damit tun. Und doch will ich vorbereitet sein, will lernen, wie ich, soweit es in meiner Hand steht, die späten Jahre auf gute Weise durchleben und bestehen kann.

In den letzten Jahren ist mein Bewusstsein für die Endlichkeit meines und allen Lebens gewachsen. Es ist unübersehbar: Der größere Teil meines Lebens liegt hinter mir. Die Zahl der Jahre, die noch kommen mögen, ist am Abnehmen. Was wartet auf mich, auf uns, die wir aufs Alter zugehen? Welche Verluste werden auf uns zukommen? Wie wird das Leben sich anfühlen in den enger werdenden Grenzen? Viele von uns denken mit Beklemmung an ein mögliches Ausgeliefert-, ein Abhängigsein, an Bedingungen, die so gänzlich anders sind als etwa noch in der Lebensmitte. Wir begegnen mehr oder weniger erfolgreichen Versuchen, die Spuren des Alterns zu überdecken und zu verwischen.

Das Alter gestalten

Es gibt wohl kaum Menschen unter uns, denen es nicht schmeichelt, für jünger gehalten zu werden, als sie Lebensjahre zählen. Kaum einer, kaum eine wird gerne alt. Aber vielleicht geht es ja auch gar nicht darum, gerne, sondern gelassen alt zu werden, darauf zu vertrauen, dass wir diese Herausforderung bewältigen können. Vielleicht geht es darum, erkennen zu lernen, dass die späteren Lebensjahre ihre ganz eigenen Qualitäten haben, ihren Sinn und ihre Würde.

Wie andere Menschen auch mache ich die Erfahrung, dass die meisten von uns ein eher negatives Bild vom Alter in sich tragen. Wie auch könnte es anders sein in einer Gesellschaft, die Jugend, Leistungsfähigkeit und Erfolg auf ihre Fahnen geschrieben hat. Entspricht aber diese Vorstellung der Realität? Oder gibt es auch so etwas wie ein gutes Alter, erfüllte Jahre auch in dieser Zeit? Nein, es kann nicht darum gehen, die unabwendbaren Einschränkungen zu verharmlosen oder zu ignorieren, aber wir können den Blick weiten für die Möglichkeiten, die trotz allem da sind und ergriffen werden wollen. Auch ein enger gewordener Lebensraum lässt sich gestalten.

Sich versöhnen und loslassen

Wer als alternder Mensch zur Dankbarkeit fähig ist, läuft kaum Gefahr zu verbittern. Er bewahrt die guten Dinge als nährende Quelle der Freude in der Scheune seines Herzens. Erinnerung kann ein Netz sein, das uns trägt, gerade auch dann, wenn die Tage karger werden. Sie kann uns aber auch zum Fallstrick werden, wenn wir in den Sog quälender Gedanken geraten und alten Wunden wieder und wieder ausgesetzt sind. Auf diese Weise legt sich das Gestern wie ein dunkler Schatten auf unsere Gegenwart.

Vielleicht ist spätestens jetzt die Zeit gekommen, uns mit Geschehenem zu versöhnen oder, wenn das nicht möglich ist, es sein zu lassen, so wie es war. Dabei kann es sich als hilfreich erweisen, das Erlittene nochmals auszusprechen, indem wir es einem einfühlsamen Menschen anvertrauen. Und vielleicht wird uns ja durch das Erzählen bewusst, dass inmitten so manches Schweren auch Unterstützung, Verständnis, Ermutigung und Widerstandskraft da waren. Auf jeden Fall fordert uns das Älterwerden dazu auf, nochmals Stellung zu beziehen zu unserer Lebensgeschichte. Und zuweilen gelingt es dabei, die schwierigen Dinge aus einem anderen, vielleicht milderen Blickwinkel zu betrachten und es gut sein zu lassen, uns nicht mehr erbittert gegen unsere Geschichte aufzulehnen.

Dazu gehört auch, dass wir uns selber Nachsicht schenken und annehmen lernen, dass auch verpasste Gelegenheiten, Scheitern und Misslingen, Risse und Brüche zu unserem Weg gehört haben und dass unser Leben auch im besten Fall Fragment bleiben wird, unfertig und unvollkommen. Dass dieser Prozess nicht ohne innere Schmerzen verlaufen kann, versteht sich von selber. Dennoch scheint er mir heilsam und wesentlich, weil jeglicher Hader unsere Lebensenergie blockiert, seine Überwindung hingegen Kraft freisetzt für unsere Gegenwart. Wir ertragen nicht nur das Leben, wir ertragen auch uns selber besser, wenn es uns gelingt, in unser Schicksal einzuwilligen, auch wenn dies für viele von uns ein schweres Stück Arbeit bedeutet.

Und gewiss verhält es sich so, dass auch unser Miteinander mit den Menschen, die wir lieben, entlastet wird und wir eine helle Spur in ihnen zurücklassen, wenn wir zu billigen wagen, was zu unserer Geschichte gehört. Ich denke, dass uns die Liebe viel Kraft geben kann, uns auf einen solchen inneren Weg einzulassen.

Der Auszug ist aus dem Buch:

0
Antje Sabine Naegeli

Antje Sabine Naegeli

Antje Sabine Naegeli lebt in St. Gallen/Schweiz und arbeitet dort in eigener Praxis als Logotherapeutin (sinnorientierte Psychotherapie). Sie ist im deutschsprachigen Raum eine gefragte Referentin.…

Mehr erfahren

Weitere Produkte zum Thema