Trost in Zeiten der Trauer. Warum Geschichten bei der Trauerbewältigung helfen können

Wer einen geliebten Menschen verliert, der braucht Trost und Zuspruch. Auch Geschichten können helfen bei der Trauerbewältigung, denn sie sprechen in Bildern und sind für die Seele zugänglicher. Wie wir mit Geschichten, Fabeln und Märchen Trost finden.

Trost Trauer Ermutigung Hoffnung

Was ist uns Trost angesichts des Untröstlichen? Wo sollen wir hin mit unserer Trauer, wenn sie niemand will? Wenn das Leben so tut, als ginge es einfach weiter, als hätte nur die Freude ein Recht, sich zu zeigen? Wo sollen wir hin mit uns, wenn wir uns verlassen fühlen? Was tun, wenn wir die wohlgemeinten Sprüche, die so leicht zu sagen und so schwer zu hören sind, nicht mehr aushalten?

Trauer kommt plötzlich

Trauer kann uns in vielen Situationen überfallen. Mitten im Alltag werden wir mit existentiellen Themen konfrontiert: dem Verlust eines geliebten Menschen, Umbrüchen,  Einsamkeit, Alter oder der Furcht vor dem Tod. Die Trauer über einen Verlust kann so schmerzlich sein, dass man glaubt, niemand vor einem habe so etwas je erlebt. Dann kommt zur Trauer noch das Gefühl des Verlassenseins. Schon der Prophet Jeremia klagte: „Schaut doch und seht, ob irgendein Schmerz ist wie mein Schmerz, der mich getroffen hat.“ (Klagelieder des Jeremia 1,12).

Wie Sie Trost finden in der Trauerzeit

Was also tröstet? Tränen können trösten. Auch, sich Zeit zu geben, sich für eine Weile zurückzuziehen und alles da sein zu lassen, was zum Abschied gehört. Hierzu gehören Angst, Ohnmacht, Verwirrung, Wut. Was auch hilft, ist, darüber zu reden. Wenn ein Mensch da ist, der einem zuhört. Doch auch Geschichten können Trost spenden. Geschichten von Menschen, die Schmerz und Trauer kennen und selbst schon durch das dunkle Tal gegangen sind. Liest man, wie es ihnen erging, ist man nicht mehr so allein mit seinen beängstigenden Gefühlen. Mitunter kann man dann sogar spüren, dass die Trauer zum Leben gehört wie die Freude. Dass Ankommen und Loslassen zwei Seiten desselben sind. Dass beides zusammengehört.

Warum Geschichten trösten können

Seit es Menschen gibt, erzählen sie Geschichten. Sie berichten, was sie erlebt und bewältigt haben. Wenn es um Trauer geht, werden diese Geschichten oft in  eine besondere, eine magische Sprache verkleidet, bildhafter und einfacher als die Alltagssprache.Unsere Seele versteht diese Sprache besser als unser Kopf. So entstanden Mythen, Märchen und Sagen. Sie wurden von Generation zu Generation mündlich weitergegeben und später aufgeschrieben. In den Schriften der Philosophen, in Weisheitsgeschichten, in der Bibel, in Fabeln, Liedern und Gedichten drücken Menschen seit Jahrtausenden ihre Trauer aus und erzählen, was sie tröstete und was nicht. Uns ist die Sprache der Seele, die sie dabei verwenden, manchmal suspekt. Wir sind es gewohnt, alles rational zu betrachten. Doch unsere Seele braucht in Zeiten der Trauer mehr Beistand als der Kopf. Unser Herz benötigt mehr Unterstützung als der Verstand. Und weil auch unsere Seele in Bildern spricht, versteht sie die bildhafte Sprache besser.

Es gab schon immer Menschen, die sich Abschied, Trennung, Tod und Trauer stellen mussten. Immer schon versuchten andere vor uns Wege zu finden, mit diesem Schmerz umzugehen, ihn auszudrücken, zu fassen, zu ergründen. Ihre Erfahrungen sind ein Schatz, den wir nutzen dürfen. Denn Trost heißt nicht, dem Schmerz seine Berechtigung abzusprechen. Trost bedeutet, den Schmerz zu benennen, sichtbar und hörbar zu machen, miteinander auszuhalten und zu verwandeln. Auch aus diesem Grunde ist in Zeiten der Trauer jedes ausgesprochene Wort besser als tapferes Schweigen.

In den Geschichten und Gedanken von Doris Bewernitz lässt sich dieser Trost finden.


Doris Bewernitz: Trost - ein Versuch

Es war einmal eine Frau mit Namen Barbara, die hatte sich lange nach ihrem Liebsten gesehnt. Sie hatte gar von ihm geträumt und wusste daher wie er aussah. Nur konnte sie ihn Jahr um Jahr nicht finden, so sehr sie auch nach ihm suchte. Erst als sie die Vierzig bereits überschritten hatte, traf sie ihn. Beide waren überglücklich, herzten sich, liebten sich, genossen jeden Tag zu zweit und feierten bald Hochzeit. Doch schon kurze Zeit nach der Hochzeit klagte ihr Liebster über Schmerzen und keine zwei Monate später war er tot.Er hatte die Krankheit schon in sich getragen, nur hatte das niemand wissen können.

Barbara war untröstlich.Sie schlug sich an die Brust, sie weinte, schrie und klagte. Sie warf sich vor, ihn nicht eher gefunden zu haben. Wie viele schöne Jahre hätten sie dann zusammen haben können! Nun war sie noch viel unglücklicher als in der Zeit, als sie nach ihm gesucht hatte. Die Monate vergingen. Barbaras Schmerz blieb. Sie konsultierte Ärzte, sie machte Kuren, sie nahm Medizin, nichts half. Da hörte sie eines Tages von einer weisen Frau, die tief in einem Wald leben und für jedes Problem eine Lösung haben sollte. Ich werde sie aufsuchen, dachte Barbara. Vielleicht kann sie mir meinen Schmerz nehmen. Sie packte ein paar Sachen ein und machte sich auf den Weg. Da sie nicht wusste, wo die weise Frau wohnte, fragte sie in jedem Ort nach ihr, doch niemand konnte ihr helfen. Lange wanderte sie so, wanderte und suchte. Eines Abends, sie lief seit Stunden durch einen Wald und war schon ganz erschöpft, sah sie in der Ferne ein kleines Licht. In der Hoffnung auf ein Schlafquartier ging sie darauf zu und stand schließlich vor einer ärmlichen Holzhütte, aus deren einzigem Fenster ein schwacher Schein drang. Sie klopfte an die Tür und trat ein.

Da saß eine uralte Frau auf einem Schemel. Barbara begrüßte sie ehrfürchtig. „Was ist dein Problem?“, fragte die Alte. „Mein Schmerz“, sagte Barbara. „Ich habe meinen Liebsten verloren. Die Trauer frisst mich auf.“ „Was brauchst du?“, fragte die Alte. „Trost“, sagte Barbara. Die Alte nickte. „Das kann ich versuchen. Komm, erzähl. Von deinem Liebsten. Von eurer gemeinsamen Zeit. Von deinem Schmerz.“ Und Barbara erzählte. Draußen wurde es Nacht. Die Alte zündete eine Kerze an. Barbara erzählte. Draußen wurde es hell. Die Alte blies die Kerze aus und öffnete das Fenster. Barbara erzählte. Der Mittag kam. Die Alte kochte eine Suppe. Barbara erzählte. Es wurde wieder Abend. Die Alte schloss das Fenster und feuerte den Ofen an. Barbara erzählte. Sie erzählte von ihrer langen Suche nach dem Liebsten, von ihren Träumen, wie sie sein Gesicht gesehen, ihn gefunden, wie sie sich geliebt und Hochzeit gehalten hatten. Sie erzählte von ihren Plänen, ihrem Glück, ihren Küssen, von seinen Schmerzen, ihrer Angst, von seinem Tod und wie sie ihn begraben hatte. Sie erzählte drei Tage lang. Die Alte hörte aufmerksam zu.

„Wie geht es dir jetzt?“, fragte sie dann. „Der Schmerz ist immer noch da“, sagte Barbara. „Also können Sie es doch nicht.“ „Was kann ich nicht?“, fragte die Alte. „Den Schmerz von mir nehmen.“ „Nein, das kann ich nicht“, sagte die Alte. „Das kann niemand. Aber darum hattest du mich auch nicht gebeten. Du batest mich um Trost. Trost heißt nicht, dass einer dem anderen seinen Schmerz wegnimmt. Sondern dass du deinen Schmerz zeigst und jemand ihn mit dir aushält.“ Barbara nickte. „Und warum haben Sie dann anfangs gesagt, Sie wollen es versuchen? Warum nur versuchen?“ „Angesichts des Untröstlichen“, sagte die Alte, „kann Trost immer nur ein Versuch sein. Nie ein Rezept.“ Ja“, sagte Barbara. „Und jetzt weiß ich auch, welch ein Geschenk jede Minute mit meinem Liebsten war. Danke, dass Sie mir zugehört haben.“ Und sie ging anders nach Hause, als sie gekommen war.

aus: Nur im Dunkeln funkeln Sterne, 2019.


Wie Geschichten helfen bei der Trauerbewältigung

Trauer hat so viele Gesichter, wie es Menschen gibt. Sie ist immer persönlich, immer nah. Und sie macht uns Angst, weil sie eine Tür öffnet zur Vergänglichkeit, zur Unendlichkeit, zum Mysterium des Todes und des Lebens. Eine Tür, die wir oft lieber zuhalten möchten. Geschichten können dabei helfen, diese Tür zu öffnen und durch sie hindurchzugehen. Denn sie schenken eine neue Sicht auf die Dinge. Sie geben uns einen Schlüssel in die Hand, wie wir mit unserer Trauer umgehen können. Sie ermutigen dazu, sich dem eigenen Schmerz zu stellen und ihn zuzulassen. Wenn wir also diese Tür nicht verschließen, wenn wir es wagen, sie zu öffnen und durch sie hindurchzugehen, werden wir etwas Neues erleben. Etwas, das wir ohne Trauer, Schmerz und Angst nicht erlebt hätten. Wir werden lebendiger sein als vorher.


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Doris Bewernitz

Doris Bewernitz

Doris Bewernitz, Schriftstellerin, schreibt Krimis, Romane, Kurzprosa und Lyrik. Ihre Texte erschienen in vielen Printmedien und gewannen etliche literarische Preise. Die meiste Zeit des Jahres…

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Andreas Wojak

Andreas Wojak

Andreas Wojak arbeitet als Autor, Herausgeber und Radiojournalist. Er ist aufgewachsen in Ostfriesland und lebt in Oldenburg.

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