Wenn Kinder trauern. Ein Interview mit Mechthild Schroeter-Rupieper

Unsere erfahrene Trauerbegleiterin und Autorin Mechthild Schroeter-Rupieper im Gespräch über die Trauer von Kindern und wie die Eltern damit umgehen können

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Mechthild Schroeter-Rupieper ist Trauerbegleiterin und Inhaberin von »Lavia – Institut für Familientrauerbegleitung«. Sie hat mehrere erfolgreiche Bücher über Abschied und Trauer geschrieben und ist eine gefragte Referentin. In ihren Seminaren und Büchern vermittelt sie hilfreiches Wissen über Trauer und Trauerreaktionen von Kindern und Jugendlichen. Hier beantwortet sie einige der wichtigsten Fragen.

Trauer nicht wegschieben oder klein machen

Lebe gut: Wie können Eltern Kindern in Trauer helfen?

Mechthild Schroeter-Rupieper: Eltern können ihren Kindern helfen, indem sie selbst ein Vorbild sind. Das heißt, sie sollten ihre eigene Trauer zeigen, kein Theater spielen. Eltern dürfen vor ihren Kindern auch weinen! Sie sollten ihre eigene Trauer anerkennen und auch die ihrer Kinder. Trauer sollte nicht weggeschoben werden, sondern zunächst einmal gesehen und anerkannt werden. Das ist manchmal schwierig, weil viele Menschen so aufgewachsen sind, dass sie dafür gelobt wurden wenn sie sich »zusammenreißen« konnten. Andererseits haben viele heute Erwachsene die Erfahrung gemacht, dass ihre Verluste oder Verletzungen in der Kindheit nicht gesehen wurden und mit der Behauptung, das sei doch »nicht so schlimm« beiseite gewischt wurden. Dieses Geschehen haben viele Menschen als weitere Verletzung empfunden. Darum sollten Eltern den Schmerz und die Trauer ihrer Kinder zunächst einmal einfach sehen und dafür Verständnis zeigen.

Außerdem können Eltern Vorbild sein, indem sie wenn es nötig ist, Hilfe suchen und annehmen. Das kann durch den Besuch einer Trauergruppe geschehen oder auch durch Bücher zum Thema.

Lebe gut: Wie kann man Sprachlosigkeit überwinden?

Mechthild Schroeter-Rupieper: Meist ist die Angst, das Falsche zu sagen, den anderen durch das Gespräch erst traurig zu machen, der Grund für Sprachlosigkeit. Dazu muss man sich bewusst machen, dass es darauf ankommt, seine Gefühle zu äußern. Man darf etwa sagen: »Ich weiß eigentlich gar nicht, was ich sagen soll, aber es tut mir so leid, dass Du traurig bist.« In manchen Familie werden aus Angst vor Peinlichkeit nur Sachinformationen ausgetauscht, dabei wäre es wichtig, ehrlich über Gefühle zu sprechen, weil die Beziehungen zueinander sonst Schaden nehmen. Darum darf insbesondere Trauer nicht verschwiegen werden.

Hilfe von außen zulassen

Lebe gut: Was tun, wenn Kinder trotz Angeboten nicht über ihre Gefühle sprechen wollen?

Mechthild Schroeter-Rupieper: Wenn Eltern den Eindruck haben, dass ihr Kind unter der Situation leidet, aber dennoch nicht über seine Gefühle sprechen möchte, ist der Weg zur Kinder-Trauerbegleitung eine gute Idee. Vom Besuch eines Psychotherapeuten rate ich hier eher ab. Im Gegensatz zum Therapeuten, dessen Ausbildung sich auf psychische Krankheiten konzentriert, geht es bei der Kinder-Trauerbegleitung um die konkrete Situation. Wenn das Kind diesem Weg ablehnend gegenübersteht, sollten Eltern es bitten, zumindest ein- oder zweimal hinzugehen, um zu sehen wie es ist. Häufig scheuen sich Eltern, in dieser Situation auch noch Zwang auszuüben. Ich sehe es eher als notwendigen Schubs, hin zu einem sinnvollen Hilfsangebot. Verantwortungsvolle Eltern würden sich ja auch nicht damit abfinden, wenn ihr Kind die Schule oder den Zahnarzt nicht besuchen möchte.

Lebe gut: Welche Alarmzeichen gibt es bei Kindern in Trauersituationen?

Mechthild Schroeter-Rupieper: Das kommt darauf an, wie alt das Kind ist und wer gestorben ist. Gerade kleinere Kinder lassen sich oft von der Trauer der Menschen um sie herum anstecken. Trauer ist – wie alle anderen angeborenen Gefühle (Freude, Wut, Angst) – tatsächlich ansteckend. Die Natur hat das gut und sinnvoll so eingerichtet, weil es uns gut tut, wenn wir ähnlich empfinden wie die um uns herum. Das heißt, ein Vierjähriges wäre also vor allem dann traurig, wenn die Mama traurig ist.

Wenn das Kind älter ist, kann es eher über seine Trauer reden. Vorausgesetzt, das Kind hat dies gelernt und es wird ihm auch gestattet.

Es ist für Eltern oft schwer zu ertragen, dass ihr Kind traurig ist und etwa weint, weil der Opa gestorben ist. Dabei ist dies, wenn der Opa lieb und zugewandt war, doch eine angemessene Reaktion! Wenn Kinder abgelenkt sind, kann die Trauer dadurch verdrängt werden, so dass sie sich etwa nur abends zeigt, wenn Schule, Sport und Spielkameraden nicht mehr präsent sind. Auch kann es geschehen, dass die Trauer erst dann zum Ausdruck kommt, wenn ein anderes negatives Ereignis eintritt, etwa eine schlechte Note in der Schule.

Es kann durchaus sein, dass Kinder in Trauer sich zurückziehen, nicht mehr in die Kita oder Schule gehen wollen. Als Alarmzeichen wäre dies aber erst zu sehen, wenn das Verhalten längere Zeit anhält. Alarmzeichen sind auch alle Verhaltensweisen, die ein »Zu viel« oder »Zu wenig« darstellen: völliger Rückzug, aber auch nur noch unterwegs Sein wollen. Auch alle Formen von Wesensveränderungen, übermäßige Ängste oder der Versuch, die Lücke, die der Verstorbene hinterlassen hat, durch bestimmte Verhaltensweisen (Drogenkonsum, Selbstverletzung, übermäßiger Konsum von Fernsehen, Internet, Süßigkeiten) zu schließen, sind als Alarmzeichen zu sehen. Problematisch ist, dass solche Vorgänge oft erst sehr viel später einsetzen, wenn Eltern sie nicht mehr unbedingt mit dem erlittenen Verlust in Verbindung bringen.

Lebe gut: Was sollte man auf keinen Fall tun?

Mechthild Schroeter-Rupieper: Eltern sollten die Gefühle ihrer Kinder so sehen und annehmen wie sie sind. Sie sollten also weder Trauer einfordern im Sinne von »Du weinst ja gar nicht. Hast Du denn den Opa nicht liebgehabt?« noch ihnen ihre Trauer ausreden »Die Katze war doch schon alt. Wir können ja eine neue holen«. Es ist gut, wenn Eltern mit ihren Kindern in die Trauer hineingehen, aber auch wieder heraus. Dies kann geschehen, indem man nach dem Weinen und Traurigsein gemeinsam überlegt, was man nun wieder Schönes machen könnte.

Kreativ mit der Trauer umgehen

Lebe gut: Was tut Kindern in Trauer gut?

Mechthild Schroeter-Rupieper: Für Kinder in Trauer ist es wichtig, dass sie ihre Gefühle rauslassen dürfen. Es tut gut, in Geborgenheit, mit anderen zusammen traurig sein zu dürfen. Hilfreich ist es auch, wenn sie nicht mit übermäßigen Reaktionen der Erwachsenen (lautes Schreien, Haare raufen) konfrontiert sind. Sollte das doch geschehen, brauchen sie jemanden, der ihnen das Geschehen erklärt und auch die Perspektive öffnet, dass die ganz große, schlimme Traurigkeit bei Mama oder Papa wieder vergehen wird. Hilfreich sind neben Trauergruppen auch Ideen, wie man kreativ mit seiner Trauer umgehen kann, etwa durch Malen oder Schreiben, und auch, wie man dabei miteinander ins Gespräch kommt. Dazu gibt es Bücher wie z.B. auch »Hilf mir, wenn ich traurig bin«. Wichtig ist, dass man einem Kind in Trauer nicht nur ein solches Buch schenkt, sondern dazu auch Zeit und Zuwendung.


© Martin Möller

Mechthild Schroeter-Rupieper

Mechthild Schroeter-Rupieper, ist Trauerbegleiterin und Inhaberin von »Lavia – Institut für Familientrauerbegleitung« in Gelsenkirchen, wo sie auch lebt. Sie hat mehrere erfolgreiche Bücher über Abschied und Trauer geschrieben und ist eine gefragte Referentin im ganzen deutschsprachigen Raum.

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