Konstantin Wecker zur Aktualität alter Häuptlingsreden

Konstantin Wecker hat ein Hörbuch zu den bedeutendsten Reden nordamerikanischer Häuptlinge aufgenommen. Im Gespräch erzählt er über deren Botschaften, die aktueller denn je sind.

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Als die Europäer in Nordamerika eindrangen und das Land Schritt für Schritt eroberten, stießen sie auf eine Kultur, die ihnen primitiv und barbarisch erschien. Auch wenn die »Wilden« für die Eindringlinge zunächst als Wegkundige, Beschaffer von Nahrungsmitteln und später auch als Späher und Verbündete in den Auseinandersetzungen zwischen England und Frankreich nützlich waren, blickten sie mit der Selbstgerechtigkeit der weißen Rasse auf die »Primitiven« und deren urgemeinschaftliche Lebensform herab. Als die Indianer nicht mehr gebraucht wurden, begann die jahrhundertelange Elendsgeschichte der Diskriminierung, Unterwerfung und Vertreibung der nordamerikanischen Urbevölkerung.

Damals erkannten nur wenige Amerikaner die Eigenart und Qualität der indianischen Kultur, wie zum Beispiel der Ethnograph und Maler George Catlin (1796–1872) oder der Dichter Washington Irving (1783–1859), die sich für die Rechte der Indianer einsetzten.

Wie viel sie uns selbst noch heute zu sagen haben auf unserer Suche nach einem natürlicheren, einfacheren und sinnvolleren Leben, zeigen erhalten gebliebene Reden berühmter Häuptlinge wie Seattle, Sitting Bull, Red Cloud, Powhatan, Black Hawk oder Chief Joseph. Sie werden sprachmächtig zu Gehör gebracht von Konstantin Wecker, der Poesie und Widerstand dieser Worte auf der zum Buch gehörigen CD wieder ins Leben ruft.

»Sie reagierten nicht mit Hass, sondern mit Vernunft«

Lebe gut: Der Indianer – ein aufrechter Mensch mit edlem Charakter, die weißen Siedler dagegen zumeist gierige, skrupellose Eroberer. So kennen wir es zum Beispiel aus Karl Mays »Winnetou«. Ein Klischee oder entspricht das auch den Fakten?

Konstantin Wecker: Es entspricht durchaus den Fakten, auch wenn es uns immer wieder gerne als Klischee aufgetischt wurde. Natürlich sind nicht alle Ureinwohner edlere Menschen – aber sie wurden gejagt, verfolgt, gedemütigt. Und so viel ich den Reden der großen Häuptlinge entnehme, haben sie auf all diese entsetzlichen Angriffe oft mit Würde und Menschlichkeit reagiert.

Lebe gut: An den Häuptlingsreden erstaunt, wie differenziert und reflektiert die Stammesvertreter ihre zunehmend ausweglose Situation wahrnahmen. Was hat Sie an diesen Reden besonders angesprochen?

Konstantin Wecker: Die tiefe Trauer über die gnadenlose, gierige und überhebliche Zerstörung der Erde und der Pflanzen und Tiere hat mich am meisten beeindruckt. Ich habe das Gefühl bekommen, sie konnten diesen Wahnsinn einfach nicht verstehen, weil sie sich mit unserer Erde und allem was da kreucht und fleucht verbunden fühlten. Und dennoch reagierten sie meist nicht mit Hass, sondern mit großer Vernunft.

»Wenn jetzt nichts passiert, schaufeln wir unser eigenes Grab«

Lebe gut: Aus ihrer bloßen Übermacht leiteten die weißen Einwanderer Recht und Gesetz ab, die den Widerstand der indianischen Ureinwohner gegen ihre faktische Auslöschung als gesetzeswidrig definierte. Kann man zu diesem Vorgehen Parallelen zu den heute ebenfalls bedrohten Ureinwohner im Amazonasgebiet ziehen?

Konstantin Wecker: Und ob ich da Parallelen ziehe. Was damals passiert ist, war Rassismus in einer unfassbar widerwärtigen Form. Und interessant ist ja, dass die USA immer noch nicht wirklich an einer ernsthaften Aufarbeitung dieser grausigen Geschichte interessiert sind.

Lebe gut: »Während der weiße Mann die Erde zerhackt und die Wälder abholzt, nehmen wir nur die Gaben, die uns die Erde freiwillig schenkt«, lautete die Anklage des berühmten Schamanen Smohalla vor mehr als 100 Jahren. Ist es nicht erstaunlich, welche Aktualität diese Botschaft in unserer Gegenwart hat?

Konstantin Wecker: Ich habe gerade vor kurzem anlässlich einer Preisverleihung eine Laudatio auf Fridays for Future gehalten. Und ja, es beglückt mich zu sehen, dass so viele engagierte junge Menschen dieses Thema endlich so radikal aufgreifen. Wenn jetzt nichts passiert, versinkt die Menschheit schon bald in dem Grab, das sie sich längst schaufelt. Und die Reden dieser Häuptlinge können auch heute ein großartiger Ansporn sein dafür zu kämpfen, diesen unbegreiflichen Wahnsinn zu beenden.

»Meine Worte sind wie Sterne – sie gehen nicht unter.«

Häuptling Seattle


© Thomas Karsten

Konstantin Wecker

Konstantin Wecker gehört zu den bedeutendsten Liedermachern deutscher Sprache. Er fasziniert als Pianist und Sänger, Komponist, Schauspieler und Autor von Prosa und Lyrik. Sein soziales Engagement würdigen zahlreiche Auszeichnungen, etwa der Ehrenpreis Löwenherz der Hilfsorganisation Human Projects für Frieden, Freiheit, Aufklärung, Integration und eine gerechtere Welt (2016), der Göttinger Friedenspreis (2018) und die Albert-Schweitzer-Medaille (beide 2019).

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