»Ich lasse die Unruhe vorbeiziehen«

Doris Bewernitz im Gespräch über Resilienz und was ihr in Ausnahmesituationen hilft. Aus unserer Reihe »Was stärkt uns in Krisenzeiten«

Resilienz Natur

Wir leben in äußerst herausfordernden und belastenden Zeiten. Viele Menschen fragen sich, was sie tun können, um seelisch unbeschadet durch diese schwierigen Zeiten zu kommen.
In unserer kleinen Interview-Reihe »Was stärkt uns in Krisenzeiten?« sprechen wir mit Menschen, die sich seit vielen Jahren eben dieser Frage auf ganz unterschiedliche Weise genähert haben. Sie erzählen uns, was ihnen in Ausnahmesituationen hilft und wie sie ihre Resilienz stärken, ihre seelischen Widerstandskräfte fördern.

Heute im Gespräch: Doris Bewernitz

 

Doris Bewernitz hat in verschiedenen Berufen Erfahrungen gesammelt: als Krankenschwester, Gerichtsprotokollantin, Mathematiklehrerin (Dipl. -Päd.), Spielplatzbauerin, Drogenberaterin, Dozentin in der Erwachsenenbildung, Heilpraktikerin, Gestalttherapeutin und Sozialarbeiterin. Heute schreibt sie Krimis, Romane, Kurzprosa und Lyrik. Ihre Texte erschienen in vielen Printmedien und gewannen etliche literarische Preise. Doris Bewernitz möchte mit ihren Gedichten und Geschichten Menschen berühren, ihre Träume wecken und ihnen Kraft geben. Für sie selbst gibt es viele Kraftquellen: einige Gemeinschaftsgärten in Berlin, in denen sie mitwirkt und ihre Verbundenheit zur Natur ausleben kann; ihr langjähriger und tragender Freundeskreis; ihre Kinder und Enkelkinder; aber vor allem ihre geliebten Bücher, in denen sie immer wieder genau die Weisheit und den Trost findet, die sie gerade braucht.


Lebe gut: Frau Bewernitz, was stärkt Sie in Krisenzeiten?

Doris Bewernitz: Vieles. Zum einen die Erfahrung, dass nichts bleibt wie es ist. Das kann in harten Zeiten ein großer Trost sein. Man weiß, dass es definitiv wieder anders wird. Und in guten Zeiten macht es mich demütig, lässt mich den Augenblick viel intensiver genießen und steigert meine Freude. Alles ist Geschenk. Es gibt nichts, was selbstverständlich ist. Sicherheit ist eine Illusion.
Was mich immer gestärkt hat, seit ich denken kann, sind Worte. Zum Beispiel von Luther, der sagt: »Wo zwanzig Teufel sind, da sind gewiss auch hundert Engel. Wäre das nicht so, wären wir schon längst zugrunde gegangen.« Das ist pure Erfahrung. Wenn ich das lese, werde ich ruhig. Es gibt so viele Sätze, Gedichte und Geschichten, die suche ich mir genau dann heraus und lese sie, wenn es mir schlecht geht: Matthias Claudius mit seinen eingängigen Versen und seinem Gottvertrauen. Werner Bergengruen mit seiner geschliffenen Sprache und seinem humanistischen Weltbild, der so wunderbare Segenssprüche verfasst hat, die bei mir geradezu wie Zauberformeln wirken. Karl-Heinz Waggerl, dieser Wortmeister, der nie das Staunen verlernte, trotz all seiner bitteren Erfahrungen, und dessen einzelne Sätze ein ganzes Universum ausdrücken. Angelus Silesius, G. K. Chesterton, Czeslaw Milosz, Erich Fried, Ingeborg Bachmann, Hilde Domin, Wisława Szymborska … Es gäbe etliche, die ich noch aufzählen könnte. Das sind so meine Begleiter, die mir im Laufe des Lebens ans Herz gewachsen sind. Aber es ist ja gerade das Wunderbare an Büchern, dass es für jeden Menschen genau das richtige gibt zum richtigen Moment. Ohne Bücher könnte ich nicht leben.
Und natürlich nicht ohne Freunde. Echte Freunde beherrschen die Kunst, alles Elend zu vertreiben: Sie hören einem wirklich zu und nehmen einen in den Arm. Güte und Freundlichkeit sind ja ohnehin die wunderbarsten Heilmittel.
Und die Pflanzen. Wissen Sie, man kann sich nicht in den Anblick einer Vergissmeinnichtblüte versenken und gleichzeitig Sorgen haben. Probieren Sie es aus. Es ist die Schönheit, die die Tränen trocknet.

Lebe gut: Wenn Ängste und Sorgen doch überhandnehmen – zu welchen »Notfallmaßnahmen« greifen Sie?

Doris Bewernitz: Zur Ruhe kommen. So langsam wie möglich werden. Das Machen sein lassen. Still werden. Die Unruhe vorbeiziehen lassen. Es aushalten, dass das nicht immer gelingt. In die Badewanne gehen. Das warme Wasser auf der Haut genießen.
Raus gehen. Sich umgucken und einmal wirklich sehen, was da ist. Als hätte man es nie zuvor gesehen. Einen Baum berühren. Eine Blume betrachten. Kindern beim Schaukeln zugucken.
Sich ausruhen. Schlafen. Kaltes Wasser ins Gesicht. Gedichte laut lesen. Mehrmals. Maria Callas hören. So laut wie möglich. Summen. Singen.
Freunde anrufen. Sich umarmen lassen. Um Hilfe bitten, ganz konkret. Hilfe annehmen. Dankbar sein für alles. Hüpfen. Mich selbst in den Arm nehmen.
Es gibt sicher noch mehr, aber diese Dinge fallen mir zuerst ein.

Lebe gut: Schauen wir gemeinsam in die Zukunft: Was wünschen Sie sich für sich und Ihre Mitmenschen?

Doris Bewernitz: Dass Frieden wird. In uns und um uns herum.

 

 

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