Die unglaubliche Welt genialer Menschen mit Autismus

Unser Autor Ulrich Merkl lädt Sie ein, Autistinnen und Autisten nicht über ihre Schwächen zu definieren, sondern von ihren kreativen und außergewöhnlichen Lösungen zu lernen.

Reportage Toleranz

Haben Sie sich schon einmal gefragt, weshalb das wertvollste Unternehmen der Welt einen angebissenen »Apple« als Logo hat? Oder weshalb Elon Musk in der Produktionshalle übernachtete, als der Start seines »Model 3« zu scheitern drohte? Und – wieso trägt Mark Zuckerberg eigentlich eine so eigenwillige Frisur?

Die Story von Facebook beginnt am 4. Februar 2004. An diesem Tag schaltet Mark Zuckerberg und drei seiner Kommilitonen an der Universität Harvard ihre neu entwickelte Seite online. Zunächst nur als Datingplattform für Studenten der eigenen Universität gedacht, verbreitet sich das Netzwerk schnell in den ganzen USA. Ein Jahr nach seiner Gründung hat Facebook bereits eine Million registrierte Nutzer, im Dezember 2005 sind es 5,5 Millionen, und ein weiteres Jahr später ist Mark Zuckerberg mit 23 Jahren der jüngste Selfmade-Milliardär der Welt.

Zuckerbergs autistische Züge sind zahlreich: Er ist introvertiert, selbstbezogen, stur, emotionslos, linkisch, hat eine steife Körperhaltung, den ewig gleichen Gesichtsausdruck, wirkt geistesabwesend, unnahbar – und seine Gesprächspartner sagen, sie wüssten nie, ob er ihnen überhaupt zuhört. Er trägt eine merkwürdige Frisur und wurde kaum jemals anders gesehen als mit Jeans, grauem T-Shirt und Badelatschen.

Er lebte bis zu seiner Heirat in einem gemieteten Reihenhäuschen mit spartanischer Einrichtung, schlief auf einer Matratze auf dem Fußboden, fährt mit dem Fahrrad ins Büro, verschenkt große Teile seines Vermögens. Er schloss mit seiner Frau einen Liebesvertrag, der besagt, dass er mit ihr pro Woche mindestens eine Nacht sowie hundert weitere Minuten verbringen muss. Und genau darum erfand Mark Zuckerberg Facebook: Um als schüchterner, kommunikationsschwacher Exzentriker selbst leichter Kontakte knüpfen zu können.

Denn im Internet zählt nur, was man sagt, nicht wie man auftritt. Eine Betroffene nannte das »barrierefreie Kommunikation«. In Internetkreisen gilt Asperger inzwischen sogar als ganz normaler Gehirnzustand der Nerds und erfolgreichen Unternehmensgründer; die Amerikaner sprechen vom »Geek Syndrom« (geek = Streber, Computerfreak, Fachidiot, Außenseiter). In den Geek-Höhlen der Programmierer sind soziale Umgangsformen nebensächlich. Wenn dein Code fehlerfrei ist, spielt es keine Rolle, wie schräg du bist. Niemand wird dich darauf ansprechen, dass du seit zwei Wochen das gleiche Shirt trägst.

Womit wir wieder bei Apple sind. Können Sie sich noch erinnern, wie Steve Jobs in der Öffentlichkeit auftrat? Immer in Jeans und grauem Rollkragenpullover. Um sich ganz auf seine Arbeit konzentrieren zu können, reduzierte er nämlich ebenfalls die Komplexität seines Alltags weitestgehend – also auch seine Kleidung und Ernährung. Die Gründung seines Unternehmens fiel übrigens in die Phase, als er sich hauptsächlich von Äpfeln ernährte …
Und weshalb übernachtete nun Elon Musk in der kritischsten Phase seines Tesla-Unternehmens in der Produktionshalle? Weil er sich und seine Mitarbeiter gnadenlos auf den Erfolg seines Projekts einschwören wollte. Schließlich sind Autisten oft genial – nicht selten aber auch besonders zielfixiert, stur und emotionslos …

Dieser Text ist in unserem Kundenmagazin Frühling/Sommer 2024 erschienen.

Über den Autor

© Privat

Ulrich Merkl

Dr. Ulrich Merkl, geboren 1965, studierte Kunstgeschichte, Archäologie und Romanistik. Als freiberuflicher Autor und Lektor wohnt er mit seiner Frau in der Nähe von Leipzig. Wie er selbst sagt, hat er zehn Kinder: zwei aus Fleisch und Blut, acht aus Papier. Seit 2017 weiß er, dass er von Asperger-Autismus betroffen ist. Besuchen Sie den Autor auf seinem Blog ulrichmerkl.de

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