Wenn Religionen Brücken bauen

Das Buch »Die Welt ist eine schmale Brücke« bringt Menschen unterschiedlicher Religionen zusammen. Lesen Sie im Interview mit Alon Wallach, wie es zu dem Projekt kam und warum es mehr Projekte dieser Art braucht.

Interview Glaube

Alon Wallach ist Gitarrist, Arrangeur, Komponist und Ensemble-Leiter aus Israel. Er studierte Gitarre, Musiktheorie und Gehörbildung an der Musikhochschule Stuttgart. Für das Buchprojekt »Die Welt ist eine schmale Brücke« kooperierten erstmals seine beiden Hauptprojekte: das Ensemble Asamblea Mediterranea, eine der führenden Gruppen jüdischer Musik in Deutschland mit europaweiten Auftritten, und das interdisziplinäre Musikprojekt TRIMUM e.V. Gemeinsam finden sie eine Antwort auf die Frage: Können Juden, Christen und Muslime gemeinsam singen? 2016 gewann TRIMUM e.V. den Preis des Bundesministeriums für Kultur und Medien und 2017 den Preis Power of the Arts.

Lebe gut: Herr Wallach, wie kamen Sie auf die Idee zu »Die Welt ist eine schmale Brücke«?

Alon Wallach: Die Idee kam eigentlich vom Verlag. Ich wurde kontaktiert wegen meines Ensembles Assamblea Mediterranea und dessen Projekt zu jüdischer Musik und Literatur. Daraus sollte ein Buch mit CD entstehen. Doch das erschien mir nicht so spannend, so dass ich mir überlegt habe, ob es nicht eine bessere Idee geben könnte. Daraus wurde dann das Konzept zu »Die Welt ist eine schmale Brücke«.


Lebe gut: Worauf bezieht sich der Titel des Buches?

Alon Wallach: Der Name bezieht sich auf ein Zitat des Rabbi Nachman von Brazlaw, aber auch auf die Stadt Ludwigsburg, wo ich lebe und wo wir all diese Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen und Geschichten gefunden haben.

Lebe gut: Aber wie haben Sie die Menschen gefunden, die im Buch so offen aus ihrem Leben erzählen?

Alon Wallach: Wir arbeiten mit Asamblea Mediterranea ja schon ziemlich lange in Ludwigsburg und haben ein sehr großes Netzwerk. So haben wir einige der Beitragenden schon gekannt. Und die anderen kamen dann über Bekannte von Bekannten dazu. Als ich Menschen in Ludwigsburg von dem Projekt erzählt habe, kamen einige gleich auf Ideen, wen sie kennen, der noch eine Geschichte erzählen und etwas dazu beitragen könnte. Das war wichtig, denn es ist schwierig, ganz von außen auf Menschen zuzugehen und mit ihnen ein solches Projekt zu verwirklichen. Da ist es schon hilfreich, einige Kontakte zu haben und darauf aufzubauen.
 

Lebe gut: Hat sich Ihre Idee des Projektes und Ihre Einstellung zu dem Projekt während der Arbeit verändert?

Alon Wallach: Die größte Veränderung kam durch Corona. Eigentlich hätten die Interviews im Rahmen einer Text- und Liederwerkstatt stattfinden sollen und die drei Autorinnen, Serap Ermiş, Cordula Heupts und Leonie Kampe hätten die Teilnehmenden auch kennenlernen sollen. Aber wegen Corona war es leider nicht möglich, eine solche Gruppensituation herzustellen. Deshalb wurden die Interviews schließlich direkt bei den Teilnehmenden geführt, als Einzelgespräche statt als Workshop. Das ist ein formeller Unterschied, der vielleicht nichts am Resultat verändert hat, aber der Weg dorthin war ein anderer.

Lebe gut: Haben Sie ein bestimmtes Ziel, eine Wunschvorstellung, was Sie mit diesem Projekt erreichen wollen?

Alon Wallach: Ja, wenn man das als Verlag so schreiben kann … (lacht) … mein Ziel ist, dass dieses Buch möglichst »kopiert« wird. Mein wirkliches Ziel, das sehr schwer zu erreichen ist, ist, dass andere Menschen diese Methode aufgreifen und ihren eigenen Prozess in ihrer Kommune beginnen. Ich finde, es steckt sehr viel Potenzial in lokaler Kultur, das im Moment kaum genutzt wird. Es scheint, als sei gute Kultur nur möglich, indem man sehr viel Geld investiert, internationale Gäste einlädt und auf unterschiedliche Art einen sehr hohen Aufwand betreibt. Dabei gäbe es doch auch die Möglichkeit, das kulturelle Potenzial der eigenen Kommune zu erforschen und auszuschöpfen. Und deshalb würde ich mich sehr freuen, wenn andere Menschen auf die Idee kämen, etwas Ähnliches wie wir bei unserem Buchprojekt in ihrer Gemeinde zu machen.

Lebe gut: Wen wünschen Sie sich als Leserinnen und Leser dieses Buches? Möglichst viele Kulturschaffende oder noch viel breitere Gesellschaftsschichten?

Alon Wallach: Ja, Kulturschaffende zum einen, also Menschen, die das Potenzial haben, selbst einen solchen Prozess anzustoßen, aber zum anderen würde ich mir wünschen, dass auch ganz allgemein Menschen das Buch in die Hand nehmen, die Kommentare lesen und die Lieder hören und einen Gewinn davontragen. Aber ich würde mich auch sehr freuen, wenn extrem konservativ denkende Menschen das täten.
Die Idee ist ja, auf unterschiedliche Art und Weise, die Leute kennenzulernen, die zu diesem Buch beigetragen haben. Das war das Ziel des ganzen Formats. Wir haben ja versucht, die Texte der Beitragenden möglichst unverändert zu lassen, so dass man eine Vorstellung davon bekommt, wie die jeweilige Person wirklich spricht. Der Fotograf, den wir ausgewählt haben, ist darauf spezialisiert, Menschen so natürlich wie nur irgend möglich zu porträtieren. Und auf der CD hört man die Stimmen der Menschen, wie sie wirklich sprechen und singen.
Meiner Meinung nach haben Rechtsextremisten viele Ängste. Sie haben große Angst vor Dingen, die in der Realität meist gar nicht so sind. Und wenn diese Leute sich auf unser Buch einlassen könnten, wer weiß, vielleicht würden sich ein paar ihrer Ängste lösen. Vielleicht könnten sie so Menschen kennenlernen, mit denen sie sonst nichts zu tun hätten.
Dieser Prozess findet übrigens auf andere Art und Weise ganz stark im ländlichen Raum statt. Das haben wir als Musiker erlebt, als wir mit TRIMUM verschiedene Regionen der Schwäbischen Alb besucht haben. Dort haben wir entdeckt, dass das Zusammenleben der einheimischen Bevölkerung und z.B. dort lebender Geflohener auf eine ganz persönliche Art funktioniert. Weil die Gemeinden dort eher klein sind, redet man nicht über »die Flüchtlinge« oder »die Schwulen«, sondern weil man sich kennt, gehören sie alle zur Kommune dazu. So wird in diesen Orten gelebt, was das Buch versucht zu bewirken. Das Buch zielt also vor allem auf all diejenigen, die solche Begegnungen noch nicht gemacht haben. Ich halte das Buch für eine gute Möglichkeit, Leute kennenzulernen, mit denen man sonst nicht in Kontakt kommt.
 

Lebe gut: Sie sind Musiker und beschäftigen sich doch auch mit so vielen anderen Themen. Was ist Ihr Ziel dabei?

Alon Wallach: Ja, ich bin Musiker, aber ich möchte nicht nur meine musikalischen Fähigkeiten als Gitarrist, Komponist und Arrangeur verbessern und verfeinern. Ich will nicht nur darüber nachdenken, wie ich ein besserer Musiker werden, ein größeres Publikum erreichen kann, während es gleichzeitig so viele Themen gibt, die mich beschäftigen. Diese Themen – Migration, Klimakrise, das Miteinander von Menschen – sind so groß und betreffen die ganze Welt.
Würde ich nur als Musiker leben, gäbe es da auf der einen Seite diesen Beruf und auf der anderen Seite die Probleme der Welt. Das ist für mich keine Option. Darum ist meine persönliche Lösung, dass ich versuche, den Rahmen zu finden, in dem ich als unbekannter Musiker wirken kann. Das mag ein sehr kleiner Rahmen sein, aber ich möchte wenigstens das tun, was ich kann, um aktiv an einer aus meiner Sicht positiven Veränderung zu arbeiten.
Wenn es darüber hinaus noch Wellen schlägt und bei anderen Menschen wirkt, freue ich mich.

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