Ein wunderbares Dichterleben

Wie er zum Dichten kam und wann ihm die besten Reime einfallen, davon erzählt unser Autor Jörn Heller.

Inspiration

Gedichte kommen, Gedichte gehen. Zum ersten Mal kommen sie, wenn man sich verliebt, am besten: unglücklich. Als Student hatte ich dazu jede Menge Gelegenheit - nicht der einzige Grund freilich, warum sich mein Theologie-Studium so in die Länge zog. Nach dessen spätem Abschluss: schnell noch ein Abstecher in die Gefilde der Germanistik, vor allem: zu Heinrich Heine. Einmal gelesen und in seiner Leichtigkeit bewundert, war mir klar: So was willst du auch! Seitdem bin ich der Lyrik treu geblieben, seitdem geht sie aber für mich auch nicht mehr ohne Rhythmus und Reim, jene zwei Ordnungskräfte, die ein eher sprunghaftes Gemüt wie meines wohltuend in seine Schranken weisen.

Der Heine-Sound in meinen frühen Gedichten war auch der Krimi-Autorin Ingrid Noll nicht entgangen. Als Gattin des Arbeitskollegen jenes Arztes, in dessen Garten ich damals mein studentisches Kleingeld aufbesserte, hatte ich sie angeschrieben und um etwas Vorteilhaftes für den Klappentext zu meinem ersten Buch gebeten. Meiner Bitte wurde großzügig entsprochen: »Gibt es heute noch Romantiker, gibt es Gedichte, die sich richtig reimen? Gibt es noch jene feine Ironie, die Heinrich Heine erfunden hat? Da leidet ein verliebtes Herz und kann gleichzeitig darüber spotten.« »Wen es erwischt hat«, so Noll über meine Liebes- & Hiebesgedichte, »der sollte unbedingt darin lesen, wer von der Liebe kuriert ist, den wird Jörn Heller dennoch erwischen. Bei mir hat er es geschafft.«

Wen wundert es, dass sich bei solch schöner Rückmeldung die Dichter-Segel bei mir blähten, und so schipperte mein Lyrik-Schiffchen fröhlich weiter, obwohl auch ich von der Liebe inzwischen weitgehend kuriert bin. Natürlich hinkt der Schiffs-Vergleich, zumal ich noch nie ein Segelboot betreten habe. Wenn mir der Wind (oder wer auch immer) Gedichte zuträgt, dann geschieht dies fast immer auf dem Landwege.

Ein Großteil der Gedichte fällt mir unterwegs ein, auf langen Wanderungen (gerne durch Italien), auf dem Weg zur Arbeit (ich bin Buchhändler) oder zur Post (es gibt ja auch Kurzgedichte). Wann immer sich mein Körper gleichmäßig in Bewegung setzt und mein zerstreuter Geist nicht durch die lästigen Routinetätigkeiten des Alltags gegängelt wird, kommt ein versprengter Einfall zum andern, verbindet sich worthaft durch Rhythmus und Reim diese Idee mit der nächsten.

Oft muss ich dann das fertig Zusammengereimte nur noch aufschreiben, damit ich es schnell wieder vergessen kann und der Schädel wieder frei ist für Neues. Zum Beispiel für den Süßwasserkrebs, der da aus unerfindlichen Gründen die Landstraße kreuzt. Schade, dass sich auf Krebs so gar nichts Brauchbares reimt. Aber muss es unbedingt ein Krebs sein? Vielleicht eignet sich als Hauptfigur auch eine Zecke, die zum Übergangszwecke um die Ecke bog. Das Nachdenken über solchen Unfug kann durchaus ein paar Stunden dauern – man hat ja Zeit beim Wandern.

Irgendwo zwischen Mailand und Pavia dämmerte mir, dass Zecken ja nicht gerade zu den Sympathieträgern der Nation gehören und Schnecken die Grundqualifikation der Langsamkeit ja noch in viel höherem Maße erfüllen. Schreiben wir also im nächsten Dorflokal:

Es bog um die Ecke
die mutige Schnecke
zum Übergangszwecke
am Zebrastreifsaum.
Das ganze Gequatsche
und üble Geklatsche
von Fußgängermatsche,
es störte sie kaum.
Sie selbst war gescheiter
und kroch einfach heiter
zum Ziel immer weiter,
was morgens begann,
von Streifen zu Streifen,
durch rollende Reifen,
und – kaum zu begreifen –
um zwölf kam sie an!

Jetzt noch mit einem Prosecco auf den neusten Quatsch anstoßen, Rucksack auf und – ab zum nächsten Gedicht! Das dann vielleicht wieder etwas ernsthafter ausfällt. Mir ist das aber eigentlich egal. Gedichte gehen und kommen, ganz wie sie wollen. Ich muss mit ihnen keinen Büchner-Preis gewinnen. Meine Reimereien, ob ernst oder heiter, sind das, was man gerne ein wenig abfällig als Gebrauchslyrik bezeichnet. Ich selber freue mich über diese Bezeichnung. Denn: Ich werde gerne gebraucht!

Dieser Text ist in unserem Kundenmagazin Frühling/Sommer 2024 erschienen.

Über den Autor

© Privat

Jörn Heller

Jörn Heller ist gelernter Theologe und Buchhändler. Seit 2004 lebt und arbeitet er in Siegen. Wenn er nicht gerade im Laden steht, macht er lange Wanderungen, bei denen ihm dann Gedichte einfallen.


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