Auf den Hund gekommen

Wie ein Hund in der schlimmsten Zeit seines Lebens für ihn da war und er dank ihm langsam den Weg zurück in die Gesellschaft fand. Ein Interview mit dem Hundetrainer Gerd Schuster.

Interview Lebenskrise Familie

Es gibt Menschen, die beginnen ihr Leben mit denkbar schlechten Karten. Gerd Schuster gehört zu ihnen: seine Familie ein einziger Scherbenhaufen, im Heim Vernachlässigung und in der Adoptivfamilie Gewalt. Mit 16 entfloh er der Katastrophe – um in der Traufe zu landen, nämlich als Punk auf der Straße. Doch er findet einen Freund: Rosco, ein ausgemusterter Grenzschutzhund, der für ihn Gefährte, Freund und Familie zugleich ist. Seine Gabe, Hunde intuitiv zu verstehen, ihre Emotionen und Bedürfnisse zu deuten, macht er zu seinem Beruf. Heute ist er ein hoch angesehener Hunde-Experte, bekannt für seinen Erfolg gerade bei problematischen und aggressiven Hunden – die meist Ähnliches erlebt haben, wie er selbst. 

Ein Hund als Familienersatz

Lebe gut: Mit 16 verlässt du dein Zuhause bzw. das Zuhause deiner Adoptivfamilie und lebst fortan als Punk auf der Straße. Immer an deiner Seite Hund Rosco, den du dann zu dir nimmst. Was hat Rosco dir damals bedeutet?

Gerd Schuster: Ich habe es zu Hause nicht mehr ausgehalten und die Nächte unter der Brücke verbracht. Rosco war ein soziales Lebewesen, für mich ein Familienersatz. Mit ihm habe ich mich auch mal gestritten, aber ich konnte auch mit ihm kuscheln und habe ihm Dinge von mir erzählt. Er war da und gab mir Nähe und Wärme, die ich bis dahin nicht kannte.

Lebe gut: Irgendwann bist du aufs Land gezogen und hast eine Familie gegründet. Und doch bist du damals immer wieder ausgebrochen. Was war der Grund?

Gerd Schuster: Ich war auf der Suche, ich war ruhelos und überfordert. Diese häusliche Enge kannte ich nicht, ich war verwildert und fühlte mich schnell eingesperrt. Es kam vor, dass ich nachts schweißgebadet aufwachte und gegen die Wände schlug. Ich wollte mich nicht in eine Form pressen lassen, die für mich nicht passte. Ab und zu musste ich einfach ausbrechen und nach meiner Art der Freiheit suchen.

Vermittlung zwischen Mensch und Hund

Lebe gut: Wie hast du festgestellt, dass du im Umgang mit Hunden eine besondere Begabung hast?

Gerd Schuster: Ich kann mich in Hunde hineinversetzen und ihre Situation nachvollziehen. Ich sehe, welche Bedürfnisse in der jeweiligen Situation hinter ihrem Verhalten stehen, und kann so zwischen Hunden und Menschen vermitteln, ohne dabei zu sehr in den Emotionen festzuhängen. Ich verstehe sie, kann aber trotzdem fachlich und neutral bleiben, wenn es nötig ist. Ich bin ja ein gläubiger Mensch, und diese besondere Begabung, wenn es denn eine ist, ist mir in meinem Verständnis von Gott gegeben worden.

 

Erwartungen herunterschrauben

Lebe gut: Was ist das Geheimnis deines Erfolgs bei aggressiven Hunden?

Gerd Schuster: Das Geheimnis, mit aggressiven Hunden umzugehen, ist garantiert nicht, den Ellbogen rauszufahren, sondern das Verständnis für den Hund und dessen Bedürfnisse. Ein Hund reagiert aggressiv, wenn er in eine Lage gezwängt wurde, in der er nicht sein wollte, wenn ihm Dinge auferlegt werden, die er nicht erfüllen kann. Manchmal ist es sogar ein gutes Rezept, den Hund in Ruhe zu lassen, nicht zu viel von ihm zu erwarten. Bei uns im Hundezentrum dürfen sie ihre eigene Persönlichkeit haben und finden. Sie sollen wieder lernen dürfen, sich wohlzufühlen. An den Hunden, die bei uns ankommen, wurde oft schon viel herumgedoktert. Wir lassen sie in Ruhe und pressen sie nicht in ein Verhalten rein. Sie fühlen sich plötzlich verstanden und die Aggressionen sind dann oft nicht mehr nötig.

Ruhe bewahren – oft die beste Lösung

Lebe gut: Was rätst du Menschen, die Angst vor Hunden haben. Oder konkreter: Wie sollte man reagieren, wenn einem zum Beispiel beim Wandern ein aggressiver Hund gegenübersteht? Für viele ja ein Albtraum …

Gerd Schuster: Das ist die Angst vor der Angst. Es könnte immer irgendwas passieren. Eine pauschale Antwort gibt es für so eine Situation nicht. Mit Sicherheit wäre es falsch, schreiend wegzurennen, daher würde ich eher, wie immer in gefährlichen Situationen, Ruhe bewahren und aushalten. Hier einen allgemeinen Tipp für solche Situationen abzugeben, wäre aber fahrlässig und gefährlich. Daher bin ich vorsichtig mit solchen Ratschlägen.


Dieses Interview ist in unserem Kundenmagazin Herbst 2025 erschienen.


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