Heike Hermann

Jeder hat seinen Everest. Der blinde Bergsteiger Andy Holzer im Gespräch

Heike Hermann spricht im Interview mit Andy Holzer über seine Besteigung des Mount Everest und über die Kraft, Herausforderungen mutig anzunehmen und darin sein persönliches Glück zu finden.

Interview Mut Natur

Der Extrembergsteiger über seinen Gipfelerfolg

Heike Hermann: Lieber Andy, es ist dir tatsächlich geglückt, den Mount Everest zu besteigen. Eine unglaubliche Leistung. Wie ist es, auf dem höchsten Punkt der Erde zu stehen?

Andy Holzer: Dort oben, ganz am vertikalen Ende der Welt, fühlte ich so gut wie gar keine Emotion. Nicht weil ich erschöpft war, nein, weil ich spürte, ich bin jetzt und hier, einmalig in meinem Leben, am weitesten von Mutter Erde entfernt. Der Weg zurück wird erst entscheiden, ob ich diesen Gipfelerfolg überhaupt jemals genießen kann. Ich bin sonst ein sehr emotionaler Mensch, aber hier wusste ich, dass ich ganz rational meine volle Konzentration auf den bevorstehenden und überlebenswichtigen Abstieg richten musste.

Heike Hermann: Und wie geht es dir heute mit diesem Erfolg nach ein paar Monaten Abstand?

Andy Holzer: Erst mit der Zeit, im Laufe der Wochen und Monate nach meiner Besteigung, wurde mir immer mehr bewusst, wie grandios uns das gelungen ist. Welches Signal wir drei damit vielleicht in die Welt hinausgesendet haben. Dass man eben auch in extremster Umgebung immer noch aufeinander schauen und aufpassen kann. Dies wurde bis zu unseren Aufstieg auf das Dach der Erde ja von der Welt der Extrembergsteiger immer als mehr oder weniger unmöglich beschrieben. Ganz privat für mich fühlt sich mein Gedanke an diese Morgenstunde des 21. Mai 2017 so an, als würde ich auf einer riesigen Tragfläche eines Verkehrsflugzeuges sitzen, und die wellenförmigen Bewegungen in der Luftströmung heben mich immer und immer wieder aus den Tälern einer sich vielleicht eben anbahnenden Problemstellung im Jetzt. Ich möchte nie mehr auf dieses große Ding mit meinen Freunden und meiner Familie verzichten.

Der lange Weg zum eigenen Glück

Heike Hermann: Was war für dich bei dieser Expedition die größte Herausforderung?

Andy Holzer: Meine drei Gänge zum höchsten Berg dieser Erde haben mich dreimal an den Rand unseres irdischen Lebens geführt. Die tödliche Eislawine im Khumbu-Eisfall, das katastrophale Erdbeben am 25. April 2015 und exakt einen Monat vor unserem endgültigen Gipfelanstieg der Tod meines Vaters am 21. April 2017. Mir wurde ganz eindrücklich vor Augen geführt, dass dieses Leben wohl nicht zum Überleben, sondern ganz eindeutig zum Leben gedacht ist. Dieses unmittelbare Befassen mit dem Tod, mit der traurigsten Stunde in meinem Leben, und wenige Schritte weiter, wenige Momente später mit dem wohl größten Gipfelerfolg meines Lebens. Damit musste ich umgehen lernen.

Heike Hermann: Und was war unterwegs das größte Glück?

Andy Holzer: Es waren wohl die Reaktionen von Klemens und Wolfgang auf meinen körperlichen Tiefpunkt wegen meines Wassermangels, am 21. Mai gegen 4 Uhr morgens, oben auf 8.600 Metern. Ich selbst konnte mein Potential weniger gut einschätzen, als meine beiden Begleiter es in mir erkennen konnten. Wir waren uns in empathischer Weise alle drei so nahe, wie es auf dem flachen Erdboden niemals hätte sein können. Dies war der Schlüssel an diesem Tag in meinem Leben und damit der Schlüssel nach ganz oben.

Heike Hermann: Gehen dir jetzt, nachdem du alle höchsten Berge der sieben Kontinente bestiegen hast, die Ziele aus?

Andy Holzer: Ich durfte in den letzten 30 Jahren hunderte, wenn nicht tausende Gipfel gemeinsam mit supertollen Menschen ersteigen. Viele davon x-fach, einige nur einmal. Ich fühle nach meinem Everest-Erfolg nun den Luxus, mich auf eigentlich gar kein großes Bergziel vorbereiten zu müssen. Dies ist keine neue Situation für mich. Immer wenn ich mal für einen Augenblick kein Ziel vor mir hatte, dann waren die Zeit da und der Raum weit offen für den nächsten spannenden Schritt. Jetzt liegt dieser Berg hinter mir und ich fühle, zwar noch in großer Unschärfe, dass sich vor mir einiges auftut …


Andy Holzer

Andy Holzer

Andy Holzer, geboren 1966, wuchs in einem Dorf in den Lienzer Dolomiten auf. Er ist von Geburt an blind. Mit neun Jahren entdeckte er seine Leidenschaft für das Bergsteigen. Er ist der erste blinde…

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