Mit der Benediktsregel besser führen lernen

Unser Autor Notker Wolf war lange Zeit Abtprimas. Im Interview erzählt er, was die Benediktregel mit guter Führung zu tun hat und warum wir diese auch im Weltlichen anwenden können. Ein Interview

Interview Gesellschaft Glaube

»Die Menschen nicht unterdrücken, sondern befreien«

Notker Wolf war zunächst Philosophieprofessor in Rom und wurde dann Erzabt in St. Ottilien. Später war er Abtpräses seiner Benediktinerkongregation und schließlich für mehrere Amtszeiten Abtprimas, d. h. oberster Repräsentant aller Benediktiner weltweit, mit Sitz in Rom. Die Erfahrungen aus Jahrzehnten der Menschenführung und des Umgangs mit Macht sind eingeflossen in sein neues Buch »Es geht auch anders. Wie Benediktiner mit Macht und Autorität umgehen«. Sandra Salm hat ihn zu diesem Buch befragt.

Lebe gut: Erzabt Notker, warum eignet sich die Benediktsregel in besonderm Maß zur Menschenführung?

Notker Wolf: Führung hat immer mit Menschen und zwischenmenschlichen Beziehungen zu tun, ob in einem Unternehmen, in der Politik oder in einem Kloster. Die Regel Benedikts behandelt genau diese Fragen. Wie sollen Menschen in Frieden zusammenleben und auch eine Zukunft haben? Dabei geht es nicht primär um Erfolg und Effizienz, sondern um die Führungsperson und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese Regel hat den Benediktinern seit 1.500 Jahren Bestand gegeben über alle politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umbrüche der Geschichte hinweg. Inzwischen gibt es Klöster rund um den Globus. Das Erfolgsgeheimnis besteht in dem großen Erfahrungshintergrund, wie Menschen sich verhalten, und den Anweisungen der Bibel, die den Menschen nicht unterdrücken, sondern befreien wollen.

Führung bedeutet vor allem Verantwortung übernehmen

Lebe gut: Können auch weltliche Mächtige nach der Benedikts-Regel führen?

Notker Wolf: Die Anweisungen Benedikts können zwar nicht eins zu eins umgesetzt werden, aber sie können als Anregungen dienen für Unternehmer, Politiker, Erzieher, für alle, die in Leitungsverantwortung stehen. Es geht um den Respekt vor jedem Einzelnen, um seine Förderung, um das rechte Maß bei allen Forderungen; es geht um die Einbindung aller in die Entwicklung eines Unternehmens, um die souveräne Überlassung der Eigenverantwortung an die diversen Gruppen, um die gemeinsame Verantwortung für die Gemeinschaft und die Verantwortung vor Gott.

Das persönliche Gewissen sei höchste Instanz guter Führung

Lebe gut: Sie erinnern in Ihrem Buch daran, dass der Abt immer Gott verantwortlich bleibt. Was kann bei einem atheistischen Firmenchef an die Stelle dieser obersten Instanz treten?

Notker Wolf: Der Abt bleibt bei allem der Letztverantwortliche. Zusammen mit seinem Rat muss er die organische Entwicklung des Klosters vorantreiben. Er ist kein Autokrat, sondern -- zusammen mit den anderen Mitgliedern -- verantwortlich vor Gott. Gott ist die oberste Instanz. Wo in einem Unternehmen oder in der Politik nicht an Gott geglaubt wird, dient das persönliche Gewissen der Führungsperson als höchste Instanz. Es drückt sich aus in Ehrlichkeit und Authentizität, in der Sorge um das Gemeinwohl der Firma, der Region und der MitarbeiterInnen.


Lebe gut: Wie kann sich ein Mitarbeiter verhalten, der erkennt, dass sein Vorgesetzter einen unguten Umgang mit Macht pflegt?

Notker Wolf: In unserer Wirtschaft haben wir Betrugsskandale erlebt, welche den Staat und die Gesellschaft um Millionen und Milliarden bringen. Entweder muss hier der Gesetzgeber einschreiten, oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen den Mut haben, ihren Chefs die Wahrheit beizubringen, und zwar ein einer Weise, dass sie sich nicht sofort in einer Abwehrstellung verschanzen. In kleineren Unternehmen geht das noch leichter, für größere braucht es Ombudsmänner oder -frauen. Niemand möchte gern kritisiert werden; das kratzt bei vielen am Ego. Letztlich aber dient es dem Wohl des Unternehmens. Es ist ein Armutszeugnis für die Führung, wenn es nur mehr Whistleblowers gelingt, die Wahrheit aufzudecken.


© Franz Dilger

Notker Wolf

Notker Wolf (1940–2024), langjähriger Abtprimas der benediktinischen Konföderation, begann seine berufliche Laufbahn als Professor für Naturphilosophie und Wissenschaftstheorie in Rom. 1977 wurde er Erzabt von St. Ottilien und Abtpräses der Missionsbenediktiner. Seitdem war er rund um den Globus tätig, caritativ und im interreligiösen Dialog engagiert. 2000–2016 war er Abtprimas in Rom und damit oberster Repräsentant aller benediktinischen Ordensleute weltweit. Er war Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, bekannter Rockmusiker, gefragter Referent und Bestsellerautor. Nach seiner Emeritierung lebte er wieder in St. Ottilien.

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