10 Tipps von Flor Schmidt, wie man trauernden Menschen beistehen kann

Einen geliebten Menschen zu verlieren ist für jeden schwer, doch der Weg durch die anschließende Trauer ist immer individuell

Interview Trauer Trost Lebenshilfe

Lebe gut: Sie begleiten Menschen in Trauer und haben durch den Unfalltod Ihres damals 17-jährigen Sohnes selbst eine tiefe Trauererfahrung gemacht. Wie haben Sie bemerkt, dass Sie Ihre Erfahrungen und Erkenntnisse weitergeben können und wollen?

Flor Schmidt: Ich bin damals einfach meinen Weg weiter gegangen, Schritt für Schritt, ohne etwas zu wollen oder zu suchen. Ich habe das getan, was mir guttat und bin meiner inneren Stimme gefolgt.

Erst habe ich nur geschrieben, um meine Gedanken festzuhalten. Das war sehr heilsam für mich und für meine Familie, und dann im Laufe der Zeit habe ich bemerkt, dass es ein Buch werden wird, in dem sich auch andere trauernde Menschen wiederfinden können.

Damals war ich auch auf der Suche nach einer Trauergruppe verwaister Eltern jugendlicher Kinder. Das gab es in Freiburg derzeit noch nicht. Deshalb habe ich dann später diese Gruppe (anfangs zusammen mit einer anderen verwaisten Mutter) angeboten.

Lebe gut: Eine wichtige Aussage von Ihnen ist, dass Kontakt zwischen uns und unseren Verstorbenen möglich ist. Wie haben Sie das bemerkt?

Flor Schmidt: Es gab mehrere Berührungen zwischen mir und meinem verstorbenen Sohn. Ein Kontakt entstand beim Schreiben. Ich habe meine Bücher zusammen mit Nico geschrieben, er war und ist immer wieder die Pforte, der Türöffner zu meiner Intuition und zu einer anderen Ebene. Ich knete und modelliere dann die Worte, um sie für die Lesenden in eine passende Form zu bringen.

Lebe gut: Ist es leicht, Menschen dazu zu ermutigen, sich auf diese Erfahrung einzulassen? Sehen Sie da Unterschiede, je nach religiösem und kulturellem Hintergrund?

Flor Schmidt: Anfangs waren viele Vernetzungen und Gespräche notwendig, um darauf aufmerksam zu machen, dass es diese Angebote jetzt auch in Freiburg gibt. Über meine Lesungen habe ich viele Menschen erreichen können. Fast alle Trauernden, die zu mir kommen, bleiben - vielleicht auch, weil sie eine innere Bereitschaft haben, sich mit ihrer Trauer in einer Gruppe auseinander zu setzen.

Bisher hatte ich in meinen Gruppen noch keine Teilnehmenden mit einem anderen religiösen Hintergrund. Vielleicht gibt es da auch sprachliche Barrieren. Deshalb kann ich leider nichts über die kulturellen Unterschiede bezüglich der Trauerbewältigung sagen.

Lebe gut: Man sagt, dass Männer anders trauern als Frauen. Wie sind Ihre Erfahrungen dazu?

Flor Schmidt: Das kann ich bestätigen, meistens trauern Männer anders als Frauen, das war auch bei meinem Mann und mir der Fall. Deshalb finde ich es umso wichtiger, dass Paare auch etwas gemeinsam unternehmen, z.B. zusammen in eine Trauergruppe gehen oder jemanden finden, der sie individuell unterstützt und begleitet.

Lebe gut: Was würden Sie jemandem raten zu tun, der einem Freund oder einer Freundin in Trauer beistehen möchte?

Flor Schmidt: Dazu habe ich einige Punkte in meinem neuen Buch »Wüstenregen« zusammengefasst:

1. Nachfragen, statt in Unsicherheit zu bleiben: Seien Sie authentisch und ehrlich und überdecken Sie Ihre Unsicherheit nicht mit Floskeln.
2. Prüfen Sie Ihre eigene Kapazität und bieten Sie nur an, was Sie auch einhalten können.
3. Regelmäßigkeit ist wichtig, egal wie groß die Abstände sind. Wenn Sie nur einmal kommen, Ihre Hilfe anbieten und dann nie wieder da sind, hilft das den Trauernden nicht.
4. Statt Lösungen: aushalten können: Trauer muss erfahren und durchlebt werden, erst im Gehen tun sich neue Wege auf, am Anfang heißt das vielleicht erst einmal, nur da zu sein.
5. Dranbleiben statt abwarten: Warten Sie nicht, bis die trauernde Person sich bei Ihnen meldet. Das wird sie in der Regel nicht tun. Fragen Sie immer wieder unaufdringlich nach.
6. Lassen Sie Ihr Ego los: Versuchen Sie nichts, auch kein »nein« persönlich zu nehmen. Hier geht es in erster Linie um den Trauernden.
7. Stille aushalten: Reduzieren Sie Ihre Worte. Das was sich Trauernde anfangs am meisten wünschen ist der Satz: »Ich bin da«. Mehr nicht.
8. Lachen erlaubt: Bewerten Sie Trauernde nicht nach ihren Gefühlsäußerungen. Auch wenn sie immer noch todtraurig sind, können sie manchmal schon wieder lachen.
9. Empathie und Mitgefühl: Seien Sie empathisch, ohne selbst mitzuleiden, denn sonst können Sie Trauernde nicht unterstützen.
10. Trauerst du noch immer? Stellen Sie nie diese Frage, Trauer wird individuell empfunden, jeder Weg ist unterschiedlich lang.

Lebe gut: In Ihrem neuen Buch »Wüstenregen« setzen Sie die Trauer mit einer Wüste gleich, die der oder die Trauernde zu durchwandern hat. Aus Ihrer Erfahrung heraus, kann man diese Wüste jemals wieder so ganz hinter sich lassen? Oder ist das vielleicht gar nicht wünschenswert? Was würden Sie sagen, was können Menschen auf ihrem Weg durch die Wüste gewinnen?

Flor Schmidt: Ich glaube, dass Trauernde die Erfahrung aus der Wüste immer in sich tragen werden und dass sie auch für andere Regionen bereichernd sein kann. Der Weg durch die Wüste des Lebens ist auch immer eine Reise zu sich selbst. Wenn Trauernde sich auf die Wüste einlassen, werden sie sich unweigerlich besser kennenlernen, ihre Schwachstellen und Ängste, aber auch ihre Ressourcen, ihre Anker, die Grenzen, die Stärken, all das, was sie stützt und hält.

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